Oerel/Hamburg. 40 Prozent aller Bahnübergänge sind technisch nicht gesichert. Hier passieren viele schreckliche Unfälle – meist aus Unachtsamkeit.
Ein staubiger Feldweg, ein schmuddeliges Andreaskreuz, das lange nicht mehr gereinigt und noch länger nicht erneuert wurde: Das ist der Bahnübergang in Oerel unweit von Stade, an dem am vergangenen Dienstag gegen 15.45 Uhr eine 28-Jährige, ihre vier Jahre alte Tochter und ihr einjähriger Sohn starben. Sie starben, weil sie den herannahenden Zug nicht bemerkten. Der Triebwagen traf den VW Golf der kleinen Familie mit voller Wucht. Am Tag danach stellt sich die Frage: Hätte dieser schreckliche Unfall verhindert werden können?
Immer wieder kommt es zu Horrorunfällen an Bahnübergängen. An unbeschrankten Bahnübergängen wie in Oerel ist die Unfallgefahr besonders hoch. Im Jahr 2014 passierten deutschlandweit 171 Unfälle an Bahnübergängen im Netz der Deutschen Bahn, 92 davon an unbeschrankten Übergängen.
Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen
Ein besonders spektakulärer Unfall auf einem Bahnübergang im Landkreis Stade passierte vor fast einem Jahr. Damals krachte ein Metronom in einen Bus. Personen kamen nicht zu Schaden. Die Schüler die sich in dem Bus befanden hatten, sahen den Zug kommen und konnten den Bus vor dem Zusammenstoß verlassen. Ein Schüler filmte den Unfall damals mit seinem Handy.
Wie kommt es zu den Unfällen?
Warum übersehen Autofahrer Andreaskreuze, Warnhinweise und Blinklichter an unbeschrankten Bahnübergängen? „Ursache ist in vielen Fällen Zeitdruck und der Irrglaube, die Situation unter Kontrolle zu haben“, sagt ADAC-Sprecher Hans Duschl. Zudem ergebe sich die Gefahr einer Routinehandlung. „Beim ersten Fehlverhalten liegt die Hemmschwelle vielleicht noch hoch, wenn jedoch beim wiederholten Male nichts passiert, sinkt das Risikobewusstsein“, so Duschl. 95 Prozent aller Unfälle an Bahnübergängen sind laut Duschl auf Fehlverhalten der Autofahrer oder Fußgänger zurückzuführen. Unkenntnis der Verkehrsregeln, Unaufmerksamkeit und Leichtsinn spielten dabei eine Rolle. Auch die Missachtung der technischen Einrichtungen, wie das Umfahren von Halbschranken, sei eine häufige Unfallursache.
Im Netz der Deutschen Bahn (DB) in Deutschland gibt es derzeit 17.509 Bahnübergänge. Etwas weniger als die Hälfte davon sind technisch nicht gesichert, haben also nur Andreaskreuze. Die Strecke in Oerel gehört nicht zum DB-Netz, sondern wird von der den Eisenbahnen und Verkehrsbetrieben Elbe-Weser GmbH (evb) betrieben, die sich sich mehrheitlich im Besitz des Landes Niedersachsen befindet. In Schleswig-Holstein sind von 911 Bahnübergängen im Netz der Deutschen Bahn 369 unbeschrankt, in Hamburg gibt es unter 27 Bahnübergängen nur einen unbeschrankten. In Niedersachsen sind von 2146 Bahnübergängen 785 ungesichert.
ADAC empfiehlt rote Ampel an Bahnübergängen
Forschungsergebnisse des Instituts für Verkehrssystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig haben gezeigt, dass ein Großteil der Straßenverkehrsteilnehmer an unbeschrankten Bahnübergägnen gar nicht erst nach einem sich nähernden Zug schaut. Um an unbeschrankten Bahnübergängen künftig Unfälle zu verhindern, haben die DLR-Forscher in Braunschweig ein neues Warnsystem entwickelt: eine Anlage, die einen Blitz auslöst, sobald sich ein Auto einem unbeschrankten Bahnübergang nähert. „PeriLight“ ist eine LED-Blitzlichtquelle, die neben den Gleisen, etwa 40 bis 60 Meter links und rechts vom Bahnübergang aufgestellt wird. Passiert der Autofahrer einen Sensor, wird die Blitzlicht-Anlage automatisch ausgelöst. Das pulsierende Licht zieht die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf sich.
„Unser System macht sich automatische Prozesse der visuellen menschlichen Informationsverarbeitung zunutze“, sagt Jan Grippenkoven, DLR-Projektverantwortlicher. „ Durch das Licht wird die visuelle Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers automatisch in Richtung der Lichtquelle gezogen.“ Das korrekte Verhalten am Bahnübergang werde instinktiv ausgelöst. Wann die ersten Anlagen aufgestellt werden, ist noch nicht bekannt. Das DLR sucht derzeit nach einem Betreiber und Herstelller für eine Langzeittestphase für das Warnsystem.
Der ADAC empfiehlt, statt eines Blinklichts an unbeschrankten Bahnübergängen eine dauerhaft rote Ampel zu installieren, da diese bei Autofahrern aus dem restlichen Straßenverkehr bekannt ist und eindeutig für „ Stopp, stehen bleiben“ steht. Derweil haben sich die Deutsche Bahn, ADAC, gesetzlichen Unfallversicherern und der Bundespolizei zusammengetan und informieren mit der Kampgagne „sicher drüber“ Verkehrsteilnehmer für das richtige Verhalten und Gefahren am Bahnübergang zu sensibilisieren.