Kiel. Vergiftete Marzipanherzen gefunden: Unbekannte fordern Geld von Coop-Kette und kündigen an, erneut toxische Lebensmittel auszulegen
Der Schultag beginnt so wie immer: Die ersten Lehrer sind da, langsam trudeln an diesem sonnigen Freitagmorgen auch einige Schüler ein – und plötzlich müssen alle raus. Die Polizei lässt blitzschnell drei Schulen in Kiel räumen. Jemand erpresst die Einzelhandelskette Coop, die in der Landeshauptstadt angesiedelt ist. Unbekannte drohten damit, weiterhin manipulierte Lebensmittel rund um Kieler Schulen zu verteilen, teilt das Unternehmen am Freitag mit. Die Polizei nimmt das Ganze sehr ernst.
Spürhunde und Sprengstoffexperten durchsuchen am Morgen erst die Muhliusschule; danach sind die Käthe-Kollwitz-Schule und die Hebbelschule dran. Am Nachmittag kommt Entwarnung für diese Schulen.
Auch die neunjährige Lena und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Ben stehen am Morgen vor verschlossenen Türen. Weil ihre Muhliusschule gesperrt ist, nimmt die Mutter die beiden Kinder kurzerhand mit ins Büro. „Ich glaube, das ist ein ganz mieser Schülerstreich“, glaubt Janett Stephan zu diesem Zeitpunkt noch.
Der mysteriöse Fall hatte in der Nacht zum Dienstag begonnen: Die Reventlouschule bekommt eine Mail mit dem Hinweis, auf dem Hof seien vergiftete Lebensmittel ausgelegt worden. Lokale Medien berichteten, dass es in der Mail in schlechtem Deutsch sinngemäß geheißen haben soll: „Vor Schulen sterben Kinder, wenn ihr nicht zahlt.“ Das Landeskriminalamt sprach von einer völlig neuen Art der Erpressung.
Die Marzipanherzen können Übelkeit auslösen
Es sind Marzipanherzen, die tatsächlich an der Schule gefunden werden. Ein Schnellgutachten ergibt, dass der hinzugefügte Stoff bei Verzehr zu Übelkeit und Bauchschmerzen führen kann, aber nicht hochgradig toxisch sei, wie eine Polizeisprecherin gegenüber Abendblatt.de bestätigte. Schwere Folgen oder gar Lebensgefahr schließen Experten aber aus. Nach der Drohung leitet Coop umgehend Maßnahmen ein und steht in engem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden.
An der Muhlius- und der Hebbelschule werden insgesamt drei verdächtige Gegenstände gefunden. Polizisten rücken mit sechs Spürhunden an. Die Polizei sperrt die Straßen rund um die Schule mit Flatterband ab. Auch der Kampfmittelräumdienst kommt. Ein Experte betritt das Gebäude im Schutzanzug.
Dann gibt es Entwarnung. Die verdächtige Gegenstände stellen sich als ungefährlich heraus. „Alles wieder gut!“, heißt es mittags auf der Homepage der Muhliusschule. „Alles lief entspannt und ohne Angst und Tränen ab.“ Bildungsstaatssekretär Dirk Loßack ist zufrieden: „Die Evakuierung der Schulen hat gut geklappt.“ Die Zusammenarbeit mit den Eltern sei gut gewesen.
An der Hebbelschule mit 640 Schülern und 53 Lehrern stehen am Vormittag noch ein paar Lehrer Kaffee trinkend vor dem rot-weißen Flatterband, mit dem die Polizei das Schulgelände abgesperrt hat. „Zunächst war alles wie immer“, sagt der stellvertretende Schulleiter Michael Bremer. „Ich habe noch einen Schnack mit dem Hausmeister gehalten.“ Dann der Alarm. Nur wenige Schüler waren schon da und mussten das Gebäude schnell verlassen. Schulleiterin Annegret Wilms lobt die Professionalität und Besonnenheit von Polizei und eigenen Kollegen. „Ist das echt?“, fragte lachend eine vorbeiradelnde Frau. Es ist echt.
Was hinter Drohungen und manipulierten Marzipanherzen steckt, bleibt zunächst unklar. „Der Tathintergrund wird noch ermittelt“, sagt ein Polizeisprecher zu dem in Kiel nun schon als „Marzipan-Erpressung“ bekannten Fall. Das Landeskriminalamt behandelt dies als einen Fall schwerer Erpressung. Die Ermittler rieten zur Vorsicht bei gefundenen Lebensmitteln. Sie werten weiter die Spuren und Erkenntnisse aus.
Polizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung
Das Unternehmen Coop ist mit mehr als 200 Sky- und Plaza-Märkten in Norddeutschland vertreten. Erst kürzlich wurde berichtet, dass Rewe aus Köln die Mehrheit am operativen Geschäft von Coop übernehmen möchte. In einer vorläufigen Einschätzung hat das Bundeskartellamt Ende Juli signalisiert, dass es unter Auflagen einer Übernahme der rund 200 Sky- und Plaza-Märkte durch den Kölner Handelsriesen zustimmen könnte.
Die Polizei bittet um Hinweise aus der Bevölkerung. zur Aufklärung des Falls. Bürger können sich unter der Notrufnummer 110 oder der Rufnummer eines Bürgertelefons 0431-160 66 66 melden.