Baltrum. Gezeitenunabhängig, umweltfreundlich, schnell: Bürgermeister der Nordseeinsel Baltrum will die Fähre durch eine Gondel ersetzen.

In Hamburg ist die Seilbahn übers Wasser gescheitert, auf der Nordseeinsel Baltrum könnte sie womöglich verwirklicht werden. Am 20. September will sich der Rat der Inselgemeinde mit der Frage befassen, ob der Plan weiterverfolgt werden soll. Er stammt von einem Inselgast. Baltrums Bürgermeister Berthold Tuitjer ist damit unlängst an die Öffentlichkeit gegangen. „Für Baltrum wäre die Seilbahn eine gute Sache“, findet er. Sie ist auf jeden Fall eine kühne Idee, und Tuitjer hat dafür bereits einiges einstecken müssen. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) flachste: „Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass eine Seilbahnverbindung zu einer Insel ähnlich seltsam anmutet wie eine Schiffsverbindung auf einen Berg.“ Tuitje­r stören solche Äußerungen nicht: „Manche reagieren eben mit Spott und Häme, wenn man mal querdenkt.“

Genau genommen ist es nicht Quer-, sondern Hochdenkerei. 68 Meter hoch sollen die fünf Stützen sein, die man ins Wattenmeer zwischen Neßmersiel auf dem Festland und der Insel Baltrum treiben müsste, um daran ein Seil zu befestigen, das die Gondeln über die Distanz von rund vier Kilometern trägt. „Technisch ist das alles kein Pro­blem“, sagt Tuitjer.

Volksabstimmung wie in Hamburg?

Die österreichische Firma Doppelmayr hat erste grundsätzliche Fragen bereits geklärt. Doppelmayr kennt sich aus im Norden, kennt sich auch aus mit Kabinen, die übers Wasser gondeln. Die Firma hatte auch die Seilbahn bauen wollen, die über die Elbe führen sollte, zu den Musicaltheatern im Hafen. Im August 2014 mussten diese Pläne aufgegeben werden. Bei einem Bürgerentscheid votierten die meisten Wahlberechtigten gegen die Elbseilbahn.

Ginge es nach dem mutigen Bürgermeister, würde es auch auf Baltrum eine Art Volksabstimmung geben. „Wir könnten die Insulaner und die Gäste fragen, ob wir den Plan präzisieren sollen“, sagt Tuitjer. Die Vorteile einer Seilbahn liegen aus seiner Sicht auf der Hand. „Sie würde für eine viel bessere Anbindung ans Festland sorgen und wäre auch wirtschaftlicher und umweltfreundlicher als die Fähre“, sagt der Bürgermeister. Für das autofreie Baltrum wäre eine Seilbahn wohl tatsächlich ausreichend. 80 Personen fasst eine Gondel, in acht Minuten wäre sie auf der Insel. Auch Gepäck und Waren lassen sich damit transportieren. Und das in einem sehr viel kürzeren Rhythmus, als es die Fähre vermag.

Die Seilbahn könnte auch bei Ebbe fahren

Ein Blick auf den heutigen Fahrplan beweist es. Zur Auswahl stehen je drei von den Gezeiten diktierte Abfahrten ab Baltrum (7 Uhr, 14.45 Uhr, 19.15 Uhr) und ab Neßmersiel (8 Uhr, 16.15 Uhr, 20 Uhr). Ab November gibt es gar nur noch zwei Abfahrten. Eine Seilbahn wäre erheblich komfortabler für die Insulaner, denn sie kann auch bei Ebbe verkehren. „Denken wir nur mal an einen Arztbesuch oder daran, dass dringend ein Medikament benötigt wird, das es nur auf dem Festland gibt“, sagt Tuitjer.

Auch die laufenden Kosten der Bahn seien niedriger als die des Fähr­betriebs. „Wir könnten uns das teure Ausbaggern der Fahrrinne sparen“, sagt der Bürgermeister. Die Wartung der Seilbahnanlage sei viel günstiger. Mit rund 600.000 Euro Betriebskosten pro Jahr müsse man rechnen. „Insulaner und Handwerker sollten die Seilbahn kostenlos benutzen können“, wünscht sich der clevere Bürgermeister. Alle anderen müssten bezahlen, aber der Preis für eine Gondelfahrt werde dennoch immer noch unter dem Preis für die Fährfahrt liegen, sagt Tuitjer: „Derzeit sind das 28 Euro“.

Der Bürgermeister der Insel Baltrum, Berthold Tuitjer
Der Bürgermeister der Insel Baltrum, Berthold Tuitjer © dpa | Privat

Der Umwelt täte eine Seilbahn auch gut, findet er. Die Abgase der Schiffs­diesel passten nicht zum Baltrumer Tourismus. Die Seilbahn soll von Windenergie angetrieben werden.

Bleibt noch die Frage: Wer bezahlt das? 20 bis 25 Millionen Euro soll die Seilbahn kosten. Ob das reicht? In Hamburg hatte man seinerzeit für die nur 1,5 Kilometer lange Bahn über die Elbe mit 35 Millionen Euro gerechnet. Tuitjer, dem es an kühnen Ideen offenbar nicht mangelt, hat unter anderem ein Genossenschaftsmodell ins Gespräch gebracht. Die Baltrumer Seilbahn würde, wenn alles klappt, den Baltrumer Bürgern gehören.

Die Seilbahn als "Leuchtturm-Projekt"

Aber vielleicht sind das ja alles Hirngespinste, überspannte Vorstellungen, die nur auf einsamen Nordseeinseln mit schlechter Festlandverbindung entstehen können. Tuitjer selbst sagt, er habe die Seilbahn-Idee zunächst nicht ernst genommen. „So ein Unsinn, habe ich gesagt.“

Doch jetzt sieht er es anders. Und ist damit nicht allein. Denn neben dem spöttischen Umweltminister Wenzel hat sich noch ein zweites niedersächsisches Regierungsmitglied zu Wort gemeldet: der Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Die Seilbahn, sagt er, könnte ein „touristisches Leuchtturmprojekt“ werden. Baltrum baut eine Seilbahn, die ein Leuchtturm ist: Eine bessere Werbung kann es für die kleine Nordseeinsel wohl kaum geben.