Rügen. Jürgen Breuer macht Anwohnern das Projekt neben dem KdF-Seebad mit Millionen-Offerte schmackhaft. Haken bei Bürgerentscheid.
Rund 4,5 Kilometer lang ist der Koloss von Rügen, die von den Nazis erbaute Urlauber-Massenunterkunft im Binzer Ortsteil Prora. Der Bauunternehmer Jürgen Breuer will dieser sehr langen Horizontalen jetzt eine Vertikale entgegensetzen: ein 27-geschossiges Gebäude, das rund 104 Meter hoch sein wird. Ob er es darf, sollen die Bürger entscheiden. Die CDU-Fraktion in der Gemeindevertretung hat das beantragt. Am 4. September, dem Tag der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, wird es in Binz also auch um die Frage gehen, ob in Nachbarschaft des denkmalgeschützten NS-Baus Mecklenburg-Vorpommerns höchstes Wohngebäude entsteht.
Klar ist: Die Gemeinde sucht schon seit 16 Jahren einen Käufer für das rund 500 Meter von der Ostsee entfernte Flurstück 5/118. Es ist exakt 13.275 Quadratmeter groß. Bis Juli 2000 befand sich dort eine Grundschule. Danach gab es verschiedene Pläne, die eines gemeinsam hatten: Allesamt scheiterten. Eine Gartenhofsiedlung mit Einfamilienhäusern sollte entstehen, dann wollte ein Investor ein Pflegeheim bauen. Der Kaufvertrag für das Grundstück war schon unterschrieben. Weil der Käufer verschiedene Vertragsinhalte nicht erfüllte, musste er rückabgewickelt werden. Die Gemeinde stand mit leeren Händen da.
Sie stünde es nicht, verkaufte sie an Breuer. 3,5 Millionen Euro will er für das Grundstück bezahlen. Der Hausbau würde wohl rund 70 Millionen Euro verschlingen. 100 Wohnungen sind geplant. Der Bauunternehmer ist in Prora kein Unbekannter. Er hat einen Teil des NS-Baus erworben und ist dabei, ihn umzubauen. Die Wohnungen sollen vermietet oder verkauft werden. Auch an anderen Gebäudeteilen wird gearbeitet. Seit 2011 erfährt das XXL-Haus am Meer eine XXL-Verwandlung.
Am Ende wird es dort 3000 Betten in Beherbergungsbetrieben geben, dazu kommen noch einmal 4000 Betten in Erst- oder Zweitwohnungen.
Manch einem wird das zu viel. Ein Unbehagen hat sich bei den Binzern eingeschlichen. Und Ulf Dohrmann hat es gespürt. Der Vorsitzende der Binzer CDU ist zugleich Gemeindevertreter. Er findet: „Die Binzer und Proraner müssen selbst entscheiden, ob das Hochhaus gebaut wird.“ Dohrmanns Antrag, einen Bürgerentscheid herbeizuführen, stieß im Ortsparlament auf eine große Mehrheit. Einen kleinen Haken gab es dann doch noch. Aus rechtlichen Gründen darf es in der Fragestellung des Entscheids nicht um den Bau des Hochhauses gehen, sondern nur darum, ob die Gemeinde das Grundstück an den Hochhausbauer Breuer verkaufen soll. Der Binzer Bürgermeister Karsten Schneider findet es gut, die Bürger entscheiden zu lassen. „Es gibt hier Befürworter und Gegner des Vorhabens“, sagt er. „Jetzt lösen wir das ganz basisdemokratisch.“
Bauunternehmer will sympathische Unordnung
Breuer selbst empfindet das Ergebnis der Abstimmung als verpflichtend. „Ich wohne in Binz, meine Familie lebt in Binz, meine Kinder gehen hier in den Kindergarten – ich baue den Bücherturm nur mit der Zustimmung der Bevölkerung“, sagt er. „Wenn es am 4. September Nein heißt, dann muss die Gemeinde für das Grundstück eine andere Verwendung finden.“
Breuer nennt sein Projekt „Bücherturm“, weil der Architektenentwurf an einen Stapel nicht sonderlich präzise übereinandergelegter Bücher erinnert. „Der Turm soll ein Gegenstück zum NS-Riegel am Strand sein“, sagt der Bauunternehmer. „Statt streng geordneter monumentaler Breite setzen wir bewusst auf sympathische Unordnung in der Höhe.“ Die Idee dazu kam Breuers Architekt Axel Drebing in Berlin-Mitte. „Dort war eine Skulptur aufgebaut, die an die Bücherverbrennung der Nazis erinnern sollte“, sagt Breuer.
Er findet, dass sein Gebäude dem Nazi-Bau etwas entgegenstellt. Es würde das XXL-Haus überragen, es würde Prora neu markieren. Breuer: „Es soll auch die innere Symmetrie, die Gleichstellung und Entindividualisierung des Menschen, also die Grundgedanken des KdF-Bads stören und bloßstellen.“ Prora habe eine Vorgeschichte, man könne sie nicht ändern. „Aber man kann mit ihr umgehen lernen.“
Momentan sieht das Grundstück, auf dem Bauunternehmer Breuer seine Bücher stapeln will, trostlos aus. Die Grundschule ist eine Ruine. Das Grundstück selbst ist nicht gerade das, was Immobilienentwickler mit dem schmückenden Beinamen „Filet“ adeln. Es liegt an der Poststraße, daneben verläuft die Verbindungsstraße zwischen Binz und Prora, dann kommt die Bahnlinie. Drei Verkehrswege in direkter Nachbarschaft.
Auf die schwierige Lage reagiert Breuer mit einer interessanten Nutzungsvariante. Er will keine Tiefgaragen bauen, er will die Autos in die zum Wohnen nicht sonderlich geeigneten bodennahen Etagen seines Bücherturms fahren lassen. Im Erdgeschoss sollen Läden einziehen, zum Beispiel ein Supermarkt, der in Prora fehlt. Darüber die Hochgarage. Darüber Wohnungen. Ab der sechsten Etage soll man dann über die Baumwipfel und den NS-Bau hinweg aufs Meer sehen können.