Hamburg. Die Athletin nimmt an den Deutschen Meisterschaften im Timbersport teil – einer Art Mehrkampf für Waldarbeiter.
Nachdem das Anti-Rost Spray bereits glänzend von der Klinge tropft und damit Schritt eins (Ölen der Axt) erledigt ist, kommt Kirsten Krause zu Punkt zwei ihrer Vorbereitungszeremonie: dem Anlegen der Kettenstrümpfe. Das anschmiegsame Metallgeflecht soll Zehen und Schienbeine vor der ungewollten Amputation schützen. Fehlen nur noch die kleinen Striche am Baumstumpf, die Kirsten Krause exakt dorthin zeichnet, wo gleich ihre unglaublich scharfe, unglaublich geölte Axt auf unglaublich chancenloses Holz treffen wird. „Fertig“, sagt sie schließlich und steigt auf den Pappelstamm. „Kann losgehen.“
Kirsten Krause ist eigentlich eine freundliche und zugewandte Frau. Jetzt aber wirkt sie fest entschlossen und konzentriert. Seit etwas mehr als einem Jahr zerkleinert sie nun schon mit sportlichem Ehrgeiz Baumstämme. Und inzwischen kann die gelernte Altenpflegerin so exzellent mit Axt und Säge umgehen, dass sie in jeder Försterei Mitarbeiter des Monats werden würde. Krause zieht es aber vor, sich mit den Besten ihrer Sportart zu messen. Am 13. August startet die Hamburgerin bei den Deutschen Meisterschaften im Timbersport – einer Art Mehrkampf für Waldarbeiter.
Die Frau aus dem Stadtteil Niendorf hat schon einiges probiert im Leben. Sie leitet eine Seniorenresidenz mit 150 Mitarbeitern, hat einen Motorradclub geführt und ist mit 310 Sachen über die Nordschleife gebrettert. Sie ist aus einem Flugzeug gesprungen, hat an einem Bungee-Seil gehangen und ihren rechten Unterarm einem Tätowierer anvertraut. Nebenbei hat sie mit ihrer Frau noch ein Haus gebaut. Risiko? „Habe ich nie gescheut“, sagt sie. Mit 47 Jahren hat sie jetzt das Leistungsholzhacken für sich entdeckt. Wagnis, Präzision und Kraft – genau ihr Ding.
Bei den Deutschen Meisterschaften wird sie im Underhand Chop (Holzhacken auf waagerechtem Block), Single Buck (Sägen mit einer zwei Meter langen Zugsäge) und Stock Saw (Motorsäge) antreten. Sechs Motorsägen und zwei Profi-Äxte nennt die Frau inzwischen ihr Eigen. Zweimal pro Woche wird am Holz trainiert, ergänzende Besuche in Fitnessstudio und Kraftraum kommen hinzu. „Anders hältst du da oben nicht mit“, sagt sie. Da oben, das ist die bundesweite Spitze, zu der sechs Frauen gehören. Manche von ihnen arbeiten tatsächlich im Wald, andere, wie Kirsten Krause, haben schon Probleme, an genug Trainingsholz zu kommen. „Erstens geht das ins Geld, zweitens ist Holz in der Großstadt rar und drittens findet man nicht alle Tage Pappelholz.“ Aber Pappelholz sollte es schon sein. Leicht, gerade, Wettkampfstandard. So wie der Haufen Trainingsholz, der nun vor ihr auf einer Koppel im Norden Hamburgs liegt.
Kirsten Krause hält ihr 600 Euro teures Arbeitsgerät fest in Händen, als sie auf dem Baumstumpf stehend ausholt. Krachend schlägt die Axt im Holz ein. Einmal links, zweimal links, einmal rechts, zweimal rechts – rhythmisch, präzise und kraftvoll gehen die Hiebe nieder. Und während Kirsten Krauses muskulöse Unterarme die Geschichte ausdauernden Trainings erzählen und sie ihre Füße nach jedem Doppelschlag wie beim Slalomfahren versetzt, nagt die Axt eine ansehnlicher werdende Taille in den Stamm. Bei Wettkämpfen hat sie maximal zwei Minuten Zeit, um Kleinholz aus dem Block zu machen.
Kopf einschalten und körperlich ans Ende gehen
Kirsten Krause ist im Stadtteil Niendorf in einer Gegend aufgewachsen, in der man vor gar nicht allzu langer Zeit vor die Tür trat und im Prinzip im Wald stand. „Vielleicht kommt daher mein Interesse“, sagt sie. „Mein Vater hat mich ja früher nie an die Säge gelassen.“ Richtig Gefallen gefunden an der Sache mit der Axt hat sie aber erst bei einem Show-Wettkampf („Nur Männer! Da muss doch mal eine Frau ran!“) und einem Holzfäller-Workshop im vergangenen Jahr.
„Hinterher tat mir alles weh, meine Hände waren blutig und ich habe mich gefragt: Warum machst du den Mist eigentlich?“ Aber am nächsten Morgen habe sie schon wieder Lust verspürt, die Axt in die Hand zu nehmen. Doch warum noch mal genau? „Man powert sich voll aus. Muss aber auch nachdenken und technisch sauber arbeiten, sonst gibt’s böse Verletzungen. Das gefällt mir.“ Kopf einschalten und körperlich ans Ende gehen, ein idealer Ausgleich zur Arbeit. Joggen wäre nichts für sie.
Auf ihrer Terrasse in Niendorf wirkt sie ziemlich tiefenentspannt, erzählt bei Kaffee und Wasser von den Widrigkeiten des deutschen Gesundheitssystems. Auf der Koppel, beim Training, schaltet sie dann in den Sportmodus, ist Pragmatikerin mit Köpfchen, die sich aber nicht zu schade ist, auch mal „geil“ zu sagen. Beim Motorradfahren sei sie ruhiger geworden, das Holzhacken eröffne ihr da Möglichkeiten, nach wie vor vorhandene Energie zu kanalisieren. Und ein bisschen Ehrgeiz sei schon dabei, wenn sie Mitte August nach Winterberg fährt, um sich mit jüngeren und doch waldarbeitserfahreneren Frauen zu messen. „Ich mache mir da keinen Druck“, sagt Kirsten Krause erst. Um dann nachzulegen: „Ein Platz auf dem Treppchen wäre aber schon schön.“