Vor 200 Jahren empfing das Seebad Cuxhaven die ersten Touristen. Ein Hamburger hatte die Idee nach englischem Vorbild umgesetzt.
Der Göttinger Physikprofessor Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) galt als spöttischer und geistreicher Zeitgenosse. Zeitlebens musste er wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung immer wieder mit Krankheiten laborieren und genoss bei seinen Reisen nach England daher die wohltuende Wirkung von Nordseewasser und salziger Seeluft in den dort gerade gegründeten Seebädern. Baden, und dann noch im wilden Meer – das erschien auf dem Kontinent, zumal in Deutschland, damals noch als unmöglich. „Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?“, fragte Lichtenberg 1793 in einem Artikel und schlug gleichzeitig Cuxhaven vor, wo er sich oft bei einem Freund aufhielt.
Es dauerte aber noch 23 Jahre, bis der Hamburger Amtmann Amandus Augustus Abendroth (1767–1842) Lichtenbergs Idee in die Tat umsetzte. Abendroth leitete das Amt Ritzebüttel, zu dem Cuxhaven gehörte und das bis 1937 von Hamburg aus verwaltet wurde, um die Elbmündung für den Hafen zu sichern. Im Juni 1816 gründete der umtriebige Abendroth das Seebad Cuxhaven, in dem er selbst eine Aktiengesellschaft dazu ins Lebens rief, um ein erstes Badehaus zu finanzieren. Mitte Juli 1816 konnte bereits der erste offizielle Badegast in Cuxhaven begrüßt werden.
Heute ist Cuxhaven mit 3,5 Millionen Übernachtungen das größte deutsche Seebad – und feiert in diesem Monat seine Gründung. Unter anderem vom 26. Juni bis 28. August mit einer Ausstellung historischer Badeprospekte, alter Stiche, Schwarz-Weiß-Fotografien und eindrucksvoller Plakate im Schloss Ritzebüttel in Cuxhaven.
Die züchtigen Karrenbäder aus den frühen Jahren sind da zum Beispiel zu sehen: Man ließ sich mit Kutschen bis ins Wasser bringen, um unter einem zeltartigen Dach und geschützt vor Blicken im Meerwasser zu baden – so wie man es in manchen Teilen der Welt heute noch machen muss.
Plakate aus den 1930er-Jahren zeigen dann Familien in schicker Bademode. Braune Haut, Strand und Sonne – mit solchen Motiven warb man auch nach dem Krieg um Touristen. Die Exponate stammen aus der Sammlung des Hamburger Innenarchitekten und Grafik-Hochschullehres Hagen Zielke (65), der solche Zeugnisse der Cuxhavener Seebad-Geschichte seit 30 Jahren sammelt und dazu im Oceanum Verlag gerade ein Buch veröffentlicht hat.
Die Leidenschaft für Kunst, Grafik und Design verbindet sich bei ihm eng mit seinen Kindheitserinnerungen. Zielke, Sohn eines Feuerschiff-Kapitäns, wuchs in Cuxhaven-Döse auf. Die Stadtteile Döse und Duhnen und Sahlenburg mit ihren Stränden und Strandkörben sind auch heute noch die wohl meistgezeigten Seebad-Motive der Elbmündung und geprägt vom Tourismus.
„Ich bin auch mit der Kurgast-Vermietung aufgewachsen“, sagt Zielke und outet sich damit als echter Cuxhavener. Man sagt dort eben Kurgast und nicht Tourist. Auch die Stadtteile heißen in Cuxhaven daher nicht Stadtteil, sondern „Kurteil“. Die alte Idee des Erholens aus der ersten Zeit des Seebads schwingt da immer noch mit.
Die Hamburger fuhren damals zwei Tage mit der Postkutsche
Wobei es zunächst ein eher mühsames Geschäft war, an die Nordsee zu kommen, wie Zielke in seinem Buch schreibt. Hamburger Kurgäste mussten um 1816 entweder zwei Tage mit der Postkutsche über Land fahren – oder sie reisten mit einem segelnden Postschiff die Elbe hinunter. Später dann ging es schneller mit den neuen Raddampfern.
Auch der Aufenthalt in einem solchen Seebad des frühen 19. Jahrhunderts hatte nicht immer vollen Erholungscharakter. Man trug noch überwiegend schwere, dunkle Kleidung in der Sommersonne, weil Luftiges nicht den Moralvorstellungen jener Zeit entsprach. Auch das Baden in den sichtgeschützten, wenig belüfteten Kutschenzelten dürfte kaum dem freizügigen Strandvergnügen späterer Jahre entsprochen haben. Männer und Frauen waren beim Baden zudem strikt getrennt – insbesondere im sogenannten Warmbadehaus, in dem das Nordseewasser aufgeheizt wurde. Abkühlung versprachen dann Ausflüge mit dem Bauernwagen übers Watt nach Neuwerk, eine Touristen-Attraktion, die immer noch gepflegt wird in Cuxhaven.
Als schließlich am 11. November 1881 die Unterelbische Eisenbahn ihren Betrieb aufnahm, wurde auch die Anreise von Hamburg einfacher und schneller. Immer mehr Hotels entstanden, und Cuxhaven investierte in neue Promenaden, Musikpavillons und Badestellen. Nach der Jahrhundertwende schließlich fuhren immer mehr Schnelldampfer von Hamburg nach Cuxhaven, Helgoland und zu anderen Orten an der Nordsee. Die „Seebäderschiffe“ legten im Sommer täglich an den St. Pauli-Landungsbrücken ab, und ihre Reedereien warben mit farbenprächtigen Plakaten für die Erholung an Strand und Meer.
Heute gilt eher die Ostsee als nächstes Strandziel der Hamburger, die Kurgäste in Cuxhaven kommen überwiegend aus Nordrhein-Westfalen, sagt Zielke. „Da fehlt uns die Autobahn, und man muss sich die B 73 hochquälen“, sagt er. Dennoch: Wer will, kann wie früher noch immer mit Bahn oder Schiff anreisen. Nur Karrenbäder gibt es schon lange nicht mehr.
Hagen Zielke, „Cuxhavens schönste Seiten“, 144 Seiten, 19,90 Euro