Wenige Kilometer außerhalb der Stadt liegen die tollsten Ziele für den perfekten Tagesausflug in die Natur – zu Fuß, per Rad oder mit dem Schiff. In einer neuen Serie stellt das Abendblatt die schönsten kleinen Fluchten vor. Heute, Teil 1: die Elbinsel Lühesand
Ja, es ist wirklich eine Insel! Wenn man nach einer kurzen Überfahrt im offenen Fährboot den Pfad zwischen Wildrosenbüschen hoch auf die höchste Erhebung marschiert, gibt es keinen Zweifel mehr: Wasser links, Wasser rechts, Wasser vorne und auch hinten: Weit geht hier der Blick in jede Himmelsrichtung auf die Elbe, wo immer einmal wieder ein großer Frachter ganz nah vorbeizieht. In das Rauschen des Windes mischt sich dann kurz das tiefe Wummern der Schiffsmotoren. Zwischen den Rosenbüschen erkennt man bald auch diese merkwürdige Ansammlung von Wohnwagen, die weit von einander entfernt wie kleine Wagenburgen aufgebaut sind. Und ein paar Zelte sieht man, die wie in die weitläufigen Hügellandschaft hingestreut erscheinen. Auf der kleineren Erhebung schließlich noch ein Gasthaus, das ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. In den 30er-Jahren hatte es der Großvater von Holger Blohm gebaut, der hier auf Lühesand nun in dritter Generation einen Campingplatz betreibt. „Mein Opa wollte damals ein zweites Standbein“, so der 57-Jährige.
Auf dem gegenüberliegenden Festland im Alten Land betrieb der alte Blohm seinerzeit bereits das Lokal Zur Schönen Fernsicht. Die Insel, die ursprünglich einmal mehr eine Sandbank nahe der Lühemündung war, hatte sich nach ersten Aufspülungen damals zu einem beliebten Ausflugsort entwickelt. Kanuten und Segler aus Hamburg kamen, machten an den noch weitläufigen Sandufern fest, zelteten und genossen das Robinson-Dasein nur 15 Flusskilometer von Hamburg entfernt. Viele Elbinseln waren in dieser Zeit und auch in der Nachkriegszeit noch solche Naherholungsorte. Auf Pagensand gab es Landwirtschaft mit einer Gaststätte, auf Neß- und Schweinesand bei Blankenese ebenfalls Zeltplätze. Heute sind die Inseln zu großen Teilen Naturschutzgebiet, das Betreten oft verboten. Elbinseln bleiben daher für viele Sehnsuchtsorte, obwohl sie eigentlich so nahe sind. Mit Ausnahme eben von Lühesand.
Drei Hamburger Kanuvereine haben dort noch ihre eigenen Zeltplätze: kleine Wiesen unter Bäumen ohne großen Schnickschnack, so wie in den 30er-Jahren. Ein Planendach bietet ein bisschen Schutz, es gibt Feuerstellen und einen grandiosen Ausblick auf den Hauptstrom. Weiter zum westlichen Ende der Insel stehen oben auf einer Anhebung einige kleine Wochenendhäuser. Und dann ist da der Campingplatz von Holger Blohm. Jedes Jahr im Frühjahr bringt er nach der Sturmflutsaison die Wohnwagen seiner Dauergäste mit seiner großen Fähre rüber. Viele davon kommen seit Jahrzehnten jeden Sommer, und viele wie er selbst sind in zweiter oder dritter Generation schon „Insulaner“, wie man hier sagt.
Und so wie im Gasthaus, wo Holzpaneele an den Wänden, maritime Steuerräder und Positionslampen als Dekoration wohl schon seit Jahrzehnten unverändert sind, hat sich auch auf dem Campingplatz das eher ungezwungene Ambiente früherer Jahre gehalten. Parzellen gibt es nicht, Strom- und Wasseranschluss auch nicht. „Wir haben das mal geplant, aber das wollten die Camper nicht“, sagt Blohm. Sie wollten lieber die alte Ordnung, die eher ein schöne Unordnung ist. Jeder hat dort seinen Platz, wo er wollte, sagt Blohm. Wasser holt man sich mit dem Kanister aus dem Waschhäuschen, und Strom fürs TV liefern kleine Solaranlagen. Aber wer braucht hier Fernsehen, wo es doch das große Elbe-Kino gibt, wenn die Schiffe ganz dicht vorbeiziehen? Oder man geht ins Gasthaus, den Treffpunkt auf der Insel, trinkt ein Bier oder isst ein Bauernfrühstück. Ähnlich ungezwungen geht es auch auf dem Zeltplatz zu, der wenig mit den streng ausgerichteten Reihen auf anderen Campingplätzen zu tun hat. Auf Lühesand wird zwar nicht wild gezeltet, wie es früher hieß, aber fast schon. Blohm mäht einfach immer einmal wieder Wiesenabschnitte auf der Insel, wo man dann sein Zelt aufschlägt. Meist weit voneinander entfernt. Und noch weiter weg von den Wohnwagen, die Holger Blohm nach Anmeldung auch mal auf die Insel bringt.
Auch Schulklassen kommen daher gerne immer einmal zum Zelten auf die Insel . „Das stört nicht“, sagt Blohm. Im Sommer hat er oft Familien hier, die mit ihren Kindern dieses eher ursprüngliche Zelten auf einer Insel erleben wollen. Platz dafür sei reichlich, sagt er. Aber auch Tagesausflügler kommen in der Saison: Inselfeeling nur für ein paar Stunden. Regelmäßig pendelt Blohm dann mit seinem Fährboot zwischen Festland und Insel, die man schon von Weitem an den hohen, rotweißen Freileitungsmasten erkennt. Es heißt, sie seien die höchsten Europas.
Zwei Stunden sollte man sich für einen Spaziergang und anschließenden Besuch auf der Kaffee-Terrasse des Blohm’schen Gasthauses mindestens Zeit nehmen. Ein Teil der etwa 3,5 Kilometer langen Insel ist zwar Naturschutzgebiet, der größte Teil aber zugänglich. Man wandert auf Wegen zwischen Büschen, am Ufer durch Weidenwäldchen und auf kleine Hügel.
Meist immer mit Blick auf diesen großen Fluss, dem man hier so nah sein kann wie sonst kaum.
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