Stade. Weil immer mehr Völker an Krankheiten sterben, sind die Insekten sehr begehrt – manche Züchter schrecken vor Diebstahl nicht zurück.
Der grüne VW Caddy rumpelt über einen Feldweg, vorbei an einer Kirschen-Plantage im Landkreis Stade. Noch sieht man an den knapp zwei Meter hohen Bäumen vor allem zartes Grün, nur schwach sind die weißen Ansätze der Blüten zu sehen, die bald mit voller Pracht hervorbrechen werden. Ganz am Ende des kleinen Obstbaumwaldes hält Nico Martens an. „Hier ist ein guter Platz“, sagt er und wuchtet dann gemeinsam mit seinem Bruder zwei Stapel mit grünen Kisten aus dem Transporter: Zwei Bienenvölker leben darin, etwa 22.000 der kleinen Insekten in dem einen, 30.000 in dem größeren Stapel. Doch in der Kiste steckt noch etwas anderes: ein etwa zigarettenschachtelgroßer schwarzer Kasten. Es ist ein GPS-Sender. Mit dem sollen die Bienen aufgespürt werden, falls sie gestohlen werden. Denn der Diebstahl ganzer Bienenvölker ist zu einem ernsthaften Problem geworden, seit die Population immer weiter sinkt: Imker beklauen sich gegenseitig.
Die beiden Brüder aus Buxtehude wollen das verhindern. Nico Martens ist Vorsitzender des Kreis-Imkervereins Stade, dessen Mitglieder nun mit Beginn der Obstblüte im Alten Land ausschwärmen, um ihre Völker zwischen den vielen Kirsch-, Apfel- oder auch Pflaumenbäumen abzustellen. Höchst willkommen und begrüßt von den Landwirten, weil die Bestäubung der Blüten für die Ernte außerordentlich wichtig ist. Kirschen und die davor blühenden Pflaumen würden sonst fast gar keine Früchte entwickeln. Äpfel werden geschmackvoller und praller, wenn sie nicht nur durch den Wind, sondern auch durch Bienen bestäubt werden, die bei der Suche nach Nektar die Pollenstaubbeutel einer Blüte streifen und dann beim Flug zur nächsten dort Pollen wieder fallen lassen. Bestäuben eben, damit eine Frucht heranwachsen kann.
„Da passiert ohne Bienen sonst nicht viel“, sagt Nico Martens. Für gut 80 Prozent der Erträge im Obst- und Pflanzenanbau sorgen nach Schätzung des deutschen Imkerbundes vor allem die Honigbienen. Volkswirtschaftlich sei ihre Bestäubungsleistung um ein Vielfaches wichtiger als die reine Honigproduktion. Doch die Populationen sinken seit Jahren dramatisch (siehe Info-Kasten).
Das schafft Begehrlichkeiten. Vor allem nach Wintern wie im vergangenen Jahr, als sich eine gefährliche Milbe rasant verbreiten konnte und etliche Völker dahingerafft wurden. Und da begann der Diebstahl in großem Stil. Allein im Kreis Stade verschwanden 44 Völker. „Da waren Leute unterwegs, die sich mit der Imkerei auskennen“, sagt Martens. Offensichtlich versuchte da jemand, seinen Verlust auf kriminelle Art auszugleichen. Aufgeklärt wurden die Diebstähle nie. Der Schaden für betroffene Imker ist nicht klein, pro Volk liegt er schnell bei 300 und mehr Euro, schätzt er. Doch jetzt rüsten die Imker nach.
Martens etwa hat bei einem seiner Völker eine kleine Videokamera installiert, die unscheinbar an einem Baum hängt. Das Gerät reagiert auf Bewegung und zeichnet auf, wenn sich jemand an dem Bienenstock zu schaffen macht. Es gibt mittlerweile auch regelrechte Alarmsysteme, die auslösen, wenn solchen Bienenkästen bewegt werden. Mit einem speziellen „Klopfcode“ können die Imker sie scharf stellen oder auch abschalten, wenn sie selbst dranmüssen. „Doch was nützt das irgendwo im Nirgendwo – das hört doch keiner“, sagt Martens. Er geht die Sache daher in diesem Jahr nun noch technischer an: Mit dem jungen Hamburger Software-Unternehmen Evertracker testet er gerade das GPS-System, das eigentlich zur Rückverfolgung von Paketsendungen entwickelt worden war.
Martens hebt dazu den Deckel an einem der grünen Kistenstapel ab. Es summt und brummt darin, einzelne Bienen krabbeln heraus, ein süßlich-feuchtwarmer Geruch steigt auf. Die kleinen sechseckigen Waben sind da auf kleinen Holzrahmen zu sehen. Hier sammeln Arbeitsbienen Pollen – als Nahrung für die Larven, die aus den Eiern der Königin eines Volkes entstehen und ebenfalls in den Waben heranwachsen. An anderer Stelle lagern die kleinen Flieger in der verblüffend gleichmäßigen Wachsstruktur Honig, den sie aus dem Nektar der Blüten gewinnen und in ihren kleinen Körpern mit Enzymen anreichern. Während die Pollen eher so etwas wie die Säuglingsnahrung sind, wird der Honig als Energieriegel für die Arbeiter im Winter aufbewahrt. Einen Großteil dieses Vorrats aber ernten die Imker und ersetzen ihn im Winter durch Zucker. Die Rechnung ist einfach: Etwa acht Euro bekommen sie für ein Kilogramm Honig, ein Kilogramm Zucker kostet aber nur einen Euro. Die Differenz ist der Gewinn. Immerhin 30 Kilogramm Honig kann ein Volk produzieren – wenn es den Winter überlebt.
Aber wo steckt das GPS? Martens fingert tief in den Kasten und holt eine Schachtel raus: Darin ist eine kleine Vertiefung eingelassen, man erkennt einen Zigarettenschachtel-großen schwarzen und flachen Kasten, der in Folie eingewickelt ist. „Evertracker“ steht drauf. Martens packt das GPS wieder in den Bienenstock. Sobald jetzt der grüne Kistenstapel mit dem Bienenvolk bewegt wird, sendet das mit einem besonders langlebigen Akku ausgerüstete Gerät eine E-Mail an Martens, später soll das über eine App auch mit dem Smartphone funktionieren, erklärt der Imker. Per GPS-Signal lässt sich dann auch der Standort des gestohlenen Bienenvolkes ermitteln. Und dann? „Dann müsste man wohl die Polizei rufen, dort hinfahren und die Sache ausdiskutieren“, sagt der stämmige Imker .
Bisher hatte Martens diesen Fall noch nicht, es gab noch keinen Krimi im Alten Land. Die Obstblüte hat allerdings auch gerade erst begonnen.