Drochtersen. In den Restaurants an der Elbe sind die Fische höchst begehrt. Doch wegen der Umweltbelastung bleiben die Netze häufiger leer.
Es ist gar nicht so einfach in diesen Tagen, mit einem Stintfischer von der Unterelbe zu reden. „Nein, das wird doch nix“, hatte Walter Zeeck vor ein paar Tagen am Telefon gesagt. Eigentlich sollten seine beiden Söhne mit dem Kutter „Ostetal“ an der Schwinge-Mündung bei Stade ihren Fang löschen, wo man sie hätte treffen können. Doch statt zu löschen, musste die Kutter-Crew nach einem neuen Fangplatz suchen, weil sie nichts gefangen hatten – zum wiederholten Mal schon in dieser Wintersaison, in der die Restaurants in Norddeutschland den kleinen, lachsartigen Fisch als leckere Spezialität so gut verkaufen. In dieser Zeit gewöhnt sich der Fisch zwischen Hamburg und Cuxhaven an das Süßwasser, um später im Frühjahr zum Laichen weiter die Elbe hoch zu ziehen. Dann tuckerten die Zeeck-Brüder bis Finkenwerder, um es an der Fahrrinne direkt vor dem Airbuswerk zu versuchen. Aber auch da war kaum ein Fisch. Schließlich drehte die „Ostetal“ wieder ab und fuhr erneut stromabwärts bis zur kleinen Elbinsel Schwarztonnensand. Dort endlich trieb der Strom Stint in die Netze.
Ein schlechtes Jahr für Stint
Nun wartet Vater Zeeck mit dem Fernglas in der Hand, dass hier am Ruthenstrom zwischen Stade und Wischhafen der blaue Kutter auftaucht. Das Abendhochwasser ist gerade aufgelaufen, und nur ein schmaler Streifen Schilf trennt das schmale Nebengewässer vom breiten Strom der Elbe. Hoch gleiten dort mächtige Frachter durch eine scheinbar endlose Wiesenlandschaft. Zeeck hat seinen Pkw mit einem Anhänger auf dem Kai abgestellt. Bis auf ein altes Küstenmotorschiff liegt der kleine Hafen verlassen am Deich. Nur der Lkw eines Hamburger Fischgroßhandels parkt dort noch, sein Fahrer wartet ebenfalls auf die „Ostetal“ und döst auf dem Fahrersitz.
Extrem wenig Stint gebe es in diesem Jahr, brummt Zeeck und schaut wieder durch das Glas auf die Elbe. Die Sauerstofflöcher im Sommer in der Elbe in Hamburg seien schuld, sagt er. „Das bringt die Brut um“ und sei eine Folge der vielen Elbvertiefungen.
Ähnlich ist die Situation der Stint-Fischer an der Weser. Viel weniger als in den Vorjahren werde dort gefangen, heißt es auch beim Fischereiamt Bremerhaven. Dabei steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Stint, der vor dem Ersten Weltkrieg noch eine Massenware und Arme-Leute-Essen war. Teilweise mit Waschkörben wurde er seinerzeit aus dem Fluss geholt in Hamburg. Der Name Stintfang an der heutigen Jugendherberge erinnert daran. Mit der Verschmutzung der großen Flüsse verschwand er von der Speisekarte. Aber je sauberer Elbe und Weser in den 1990er-Jahren wieder wurden, desto populärer wurde auch der Stint. Der nach frischer Gurke riechende Fisch gilt mittlerweile selbst im Binnenland wie etwa in Hannover als Spezialität, heißt es bei der niedersächsischen Landwirtschaftskammer.
Stint-Fischer müssen in diesem Jahr aber eben besonders viel Geduld aufbringen — und Jagdinstinkt. „Ein büschen Nase braucht man schon“, sagt Zeeck, der Fischer in der fünften Generation ist und in den anderen Jahreszeiten Aale, Zander, Lachse und Butt aus der Elbe holt.
An den tiefen Stellen und dort, wo die Elbe enger wird und hart an sandigen Prallhängen vorbeiströmt, liegen jetzt die besten Fangplätze, erklärt er. Die Zeecks betreiben wie drei, vier andere Betriebe auf der Unterelbe eine sogenannte Hamenfischerei – „stille Fischerei“, wie Zeeck es nennt. An einem mächtigen Anker treibt der Kutter im Fluss und bringt links und rechts Netze aus. Keine Maschine läuft dann, die Kraft des Elbstroms reicht. 1000 Kilo Fisch am Tag fängt Zeeck normalerweise in der Saison, in diesem Winter brauchen er und seine Söhne drei Tage dafür.
Endlich biegt die „Ostetal“, begleitet von zig kreischenden Möwen, in den Ruthenstrom. Kapitän Claus Zeeck, 37, dreht einen Bogen und lässt das Schiff dann sanft am Kai zum Stehen kommen. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Harald wirft dem Senior die Festmacherleinen zu. Beide Fischer tragen dicke Regenkleidung und Stiefel. Es ist noch immer kalt auf dem Fluss, vor allem nachts. Rund um die Uhr ist die dreiköpfige Crew in der Saison an Bord, immer bei Stauwasser; wenn die Tide kippt, werden die Netze gehievt. Und weil sich die Gezeiten täglich verschieben, fällt diese Arbeit mal tags und mal nachts an. Die übrige Zeit wird für Reparaturen genutzt — oder man löscht wie jetzt kurz an Land die Stinte. Aus dem mit Wasser gefüllten Laderaum, der „Bünn“, holen die beiden Fischer mit einem Kescher die silbernen, etwa 20 Zentimeter langen Fische und packen sie in Körbe. Korb für Korb wird dann von Hand über Bord gehievt und auf Eis in den Lkw gepackt.
harter Job, bestimmt von den Regeln der Natur. „Aber es ist ein schöner Beruf“, sagt Harald Zeeck und grient. Er hat einmal in einem Steuerberatungsbüro gelernt, dann aber doch seine Patente für den Kutter gemacht. Wie Vater und Bruder, Opa und Uropa.
„Jeden Tag acht Stunden Büro, dann abends die Glotze“ – nein, das sei nichts für sie, sagen auch die beiden Brüder, und der Vater lächelt stolz. Mutter Brigitte reicht derweil eine Kiste mit Lebensmittel an Bord. Ein kurzer Kuss noch von Claus an seine Frau und das Baby. Dann werden schon wieder die Leinen klargemacht, und der Kutter tuckert bald Richtung Elbe.
Zum nächsten Fangplatz — wenn sie Glück haben. Und die richtige Nase.