Friedrichskoog/Hamburg . Die ersten Pottwal-Kadaver werden vor Dithmarschen geborgen. Umweltminister Robert Habeck bei den Einsatzkräften

Robert Habeck hat wohl niemals gedacht, dass er einmal ein solches Video dreht: Ein toter Pottwal wird durch den grauen Schlick aus dem Watt gezogen; ein weiterer Kadaver von einem Kettenfahrzeug durch die Salzwiesen hinter den Deich geschleppt. Wie in einem schlechten Film spielt sich die gespenstische Szene vor der Kulisse von Windrädern an der Waterkant ab.

Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) war am Mittwoch am Kaiser-Wilhelm-Koog (Dithmarschen), als die bislang größte Bergungsaktion für gestrandete Pottwale begann. Acht Jungtiere hatten sich ins Wattenmeer verirrt (das Abendblatt berichtete) und waren nach einem qualvollen Todeskampf rund fünf Kilometer vor Friedrichskoog verendet. Nach dem zunächst wegen des Sturms gescheitertem Bergungsversuch gelang es den 15 Einsatzkräften am Mittwoch, fünf Kadaver aus dem Meer zu ziehen. Experten der Tierärztlichen Hochschule Hannover begannen sofort, die trophäenträchtigen Unterkiefer abzuschneiden.

„So ein trauriger Anblick. Wie elend sieht das alles aus“, sagte ein sichtlich bewegter Umweltminister über die Tiertragödie vor Dithmarschen. Nur Lieder, so Habeck, könnten die Emotionen und die Trauer ausdrücken. „Für mich als Mensch ist es einfach ein verstörender Anblick, diese großen Säuger so zu sehen“, sagte er. „Wale sind Sinnbild des Naturschutzes, damit begann quasi das Erwachen, das Besinnen, dass wir uns um unsere Umwelt kümmern müssen – und jetzt liegen diese großen Säuger massenweise verendet vor unserer Küste.“

Der Ministerbesuch in dieser Region war schon längere Zeit vorher geplant. Eigentlich wollte Robert Habeck am Mittwoch nur die Seehundstation Friedrichskoog besuchen und den Sieger eines Architektenwettbewerbs für die Erweiterung der Anlage küren. Doch nun verlangte die größte Massenstrandung von Pottwalen in Schleswig-Holstein seine Präsenz vor Ort.

Während die Bergung durch die Mitarbeiter des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN) trotz Starkwinds und Regens vorangeht, wird bekannt: Es sind weitere Pottwale ums Leben gekommen, die bislang noch nicht entdeckt waren. „Zunächst hatten Experten am Vormittag neun Kilometer nördlich vor Büsum, auf Blauort, einen Kadaver gefunden“, sagte LKN-Sprecher Hendrik Brunckhorst dem Abendblatt. Dabei handelt es sich um einen Dithmarschen vorgelagerten, unbewohnten Hochsand.

Am späten Nachmittag gaben dann Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes bekannt, dass in dieser Region ein weiterer toter Pottwal angeschwemmt wurde. Somit hat sich die Zahl der seit dem Wochenende an der deutschen Nordseeküste entdeckten Kadaver auf zehn erhöht.

Wie Michael Friedrich, Sprecher des Havariekommandos in Cuxhaven, dem Abendblatt sagte, werden die Einsatzkräfte bei ihren Routineflügen jetzt regelmäßig Ausschau nach weiteren gestrandeten Pottwalen halten. „Wir fliegen dabei die gesamte Nordsee ab – bis zum Entenschnabel.“ Damit wird die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone bezeichnet.

Am Kaiser-Wilhelm-Koog begannen fünf Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Mittwoch mit der Obduktion der ersten geborgenen Pottwale. Um eine Explosion der Faulgase produzierenden Kadaver zu verhindern, wurden als Erstes sogenannte Entlastungsschnitte durchgeführt. Später schneiden die Veterinäre die 35 Zentimeter dicke Speckschicht (Blubber) auf, damit sie die Organe untersuchen und die Todesursache ergründen können. Es sind Arbeiten, die einen starken Verwesungsgeruch freisetzen und bei Zuschauern Übelkeit auslösen können.

Die Tierärzte wollen herausfinden, warum sich die bis zu 20 Tonnen schweren männlichen Jungtiere auf ihrem Weg von Norwegen Richtung Azoren in die Nordsee verirrt haben. Die flachen Gewässer sind für sie eine große Gefahr. Nach Ansicht von Umweltschützern stellen Vergiftungen neben dem schädlichen Einfluss durch akustische Störungen ein erhebliches Risiko dar. Pottwale sind nach Greenpeace-Angaben hoch mit Umweltgiften belastet.

Wenn die Wale längere Zeit keine Nahrung finden, werden die körpereigenen Fettreserven abgebaut und dabei große Mengen von Schadstoffen im Körper freigesetzt. Das können Cadmium und Quecksilber genauso sein wie PCB (polychlorierte Biphenyle). „Fest steht aber, tote Tiere müssen aufgrund des hohen Giftgehaltes als Sondermüll behandelt werden“, heißt es bei Greenpeace. An diesem Donnerstag werden die ersten Kadaver auf ein Bundeswehrgelände bei Meldorf zu weiteren tiermedizinischen Untersuchungen gebracht. Die Bergungsarbeiten im Watt werden fortgesetzt.