Kiel/Hamburg . Auch wenn es gestern nass und ungemütlich war: Die erste Monatshälfte ist im Norden um mehr als fünf Grad zu warm.

Die frühlingshaften November-Temperaturen wirbeln Flora und Fauna durcheinander: Bienenköniginnen legen mitten im November ihre Eier, Stechmücken und Zecken sind bereit zu neuen Attacken, und Vögel trällern schon mal ein Liebeslied. Die erste Monatshälfte jedenfalls fällt viel zu warm aus. Die Temperaturen liegen im Schnitt um fünf Grad höher als im langjährigen Mittel. Da beginnen sogar Rosen wieder zu blühen.

Wie Meteorologe Niklas Weise vom Hamburger Institut für Wetter- und Klimakommunikation sagt, war es in Hamburg im November bislang 5,3 Grad Celsius zu warm – fast doppelt so hoch wie das langjährige Monatsmittel von 5,1 Grad. Gemessen wurden im Norden durchschnittlich 10,4 Grad. Am wärmsten Tag, dem 7. November, kletterten die Temperaturen in Hamburg sogar auf 17,2 Grad, in Kiel auf 15,3 und in List (Sylt) auf 14,4 Grad. Auf dem Brocken, Norddeutschlands höchstem Berg, wurde am 3. November ein Temperaturrekord aufgestellt: Bei einer Luftfeuchtigkeit von nur zwei Prozent konnten die Messgeräte 19,8 Grad registrieren.

Ob Harz, Küste, Stadt oder Land: Für einige Insektenarten bedeutet der November-Frühling

Eine Biene sammelt Pollen (Symbolbild)
Eine Biene sammelt Pollen (Symbolbild) © dpa | Patrick Pleul

reichlich Stress. Weil die Bienenköniginnen weiter ihre Eier legen, müssen sich die Arbeiterinnen um die Brut kümmern. „Es herrscht deshalb nach wie vor reges Treiben im Bienenstock“, sagt Judith Heimann, Sprecherin des Imkerverbandes Hamburg. Normalerweise, fügt die Imkerin hinzu, würde das Bienenvolk bei niedrigen Temperaturen eine „Wintertraube“ bilden. Die Bienen sitzen eng zusammen und wärmen sich gegenseitig – in der Mitte ihre Königin.

„Der milde November jedoch bringt die Lebenszyklen der Honigbienen durcheinander“, so Judith Heimann. Sie schwärmten aus, fänden weder Nektar noch Pollen. So könne es vorkommen, dass Bienen bei Nachbarvölkern stöbern und räubern. Folge: Die Gefahr, dass Krankheiten übertragen werden, steigt. Außerdem wird der Honig im eigenen Volk knapp.

Zwar hat die warme Wetterlage auf die meisten anderen Tierarten keine gravierenden Auswirkungen. Aber es könne vorkommen, dass Schmetterlinge vorzeitig schlüpfen, sagt Casten Pusch vom Naturschutzbund Nabu in Schleswig-Holstein. „Und der eine oder andere Singvogel übt schon mal seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht durch kurze Gesangesvorträge.“ Außerdem, fügt der Experte hinzu, seien Stechmücken, Zecken und Spinnentiere aktiv.

Für die meisten Tiere bringt das warme Wetter einige Vorteile, betont Artenschutzexperte Christian Geske. Eichhörnchen zum Beispiel könnten sich reichlich mit Nahrung eindecken.

Wie Alexander Hübener vom Institut für Wetter- und Klimakommunikation sagt, ist ein warmer Novemberauftakt nicht ungewöhnlich. Er verweist auf den Vorjahresmonat, bei dem in der ersten Dekade ein Mittel von 9,8 Grad gemessen wurde. Erst gegen Monatsende sei es deutlich kühler geworden.

Eichhörnchen
haben derzeit noch
reichlich Gelegenheit,
sich mit
Nüssen und
Kastanien
einzudecken
Eichhörnchen haben derzeit noch reichlich Gelegenheit, sich mit Nüssen und Kastanien einzudecken © dpa | Julian Stratenschulte

Zwar hat es am vergangenen Wochenende fast im ganzen Norden kräftig geregnet. Aber die Wasserstände in den Talsperren des Harzes sind immer noch sehr niedrig. Der durchschnittliche Füllungsgrad der sechs großen Westharzer Stauseen beträgt aufgrund der anhaltenden Trockenheit nur noch etwas mehr als 40 Prozent, sagt der Sprecher der Harzwasserwerke mit Sitz in Hildesheim, Henry Bodnar. In den drei Trinkwasser-Talsperren an Grane, Ecker und Söser befänden sich nur noch 45 Millionen Kubikmeter Wasser, sechs Millionen weniger als Mitte Oktober. Die Trinkwasserversorgung sei aber noch nicht gefährdet.

Dass der November bislang vergleichsweise warm ist, liegt nach Angaben des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation an den milden Luftmassen. „Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Tiefdruckautobahn, bei der ein Tief nach dem anderen von West nach Ost über uns hinwegzieht“, sagt Niklas Weise.

Experten verweisen auch auf die globale Erwärmung. „Eine so lange warme Phase gab es im November noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen 1881“, sagt Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Die Wahrscheinlichkeit sei deshalb hoch, dass der November 2015 zu warm ausfallen wird, heißt es beim Hamburger Institut für Wetter- und Klimakommunikation. Winterliches Novemberwetter ist also noch nicht in Sicht. Bei stürmischem Wind werden die Temperaturen bis zum nächsten Wochenende allerdings zurückgehen. Meteorologe Niklas Weise rät: „Wer aufgrund des milden Wetters noch mit Sommerreifen fährt, sollte sie idealerweise zeitnah wechseln.“