Zu Fuß auf die Hallig Oland. Regina Matthiesen begeistert Gäste auch in der kalten Jahreszeit fürdas Naturerlebnis in der klaren Nordseeluft

Am Abend vorher hat es noch so geschüttet, dass die Outdoorjacke nach zehn Minuten an den Grenzen der Belast­barkeit war. Am Morgen danach pustet es in Dagebüll hoch oben an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, dass man es kaum aushält, so schneidend kalt ist der Wind. Am späten Vormittag geht Regina Matthiesen unbeirrt den Deich entlang – und die Gruppe, die gleich mit ihr zur Wattwanderung zur Hallig Oland aufbrechen will, ergibt sich ihrem Schicksal und folgt ihr. Wattwandern im Spätherbst und Winter? Wo man doch auf dem Sofa sitzen und Tee trinken könnte. Klingt verrückt? Ja, vielleicht. Ist aber trotzdem toll.

Wattwandern in der kalten Jahreszeit ist nichts für Warmduscher. Auf den offenen Wattflächen kann es ziemlich ungemütlich werden, bei eisigen Temperaturen zum Beispiel, bei kräftigem Wind oder bei Dauer­regen. Und eine noch größere Herausforderung: wenn das alles zusammenkommt.

Unter den Gummistiefeln knirschen die Muschelschalen im Watt

„Heftig, der Wind heute“, sagt Regina Matthiesen, die so schnell nichts umpustet. „Aber das ist frische Luft, da hat man die ganze Woche was von.“ Dafür scheint bald die Sonne, die Wasserflächen auf dem Wattboden glitzern, die Luft ist klar, von Regen keine Spur. Unter den Gummistiefeln knirschen immer mal wieder die Schalen von Herz- und Miesmuscheln. Mit der Zeit laufen die Wattspaziergänger angeregt plaudernd oder versonnen über die riesigen Flächen, die noch vor ein paar Stunden von der Nordsee überflutet waren. Ein tolles Gefühl von Weite.

Regina Matthiesen ist mitten im Watt stehen geblieben: „Mal gucken, ob es hier Wattwürmer gibt“, sagt sie und fängt auch schon an, mit ihrem Spaten zu graben. „Die obere Wattschicht ist hell, die darunter dunkel, da kommt kein Sauerstoff mehr hin.“ Und da bewegt sich auch schon was: „Das ist ein Seeringelwurm“, erklärt sie und nimmt ihn auf die Hand. „Der gräbt sich gleich wieder ganz schnell ein, sonst verschwindet er in irgendeinem Schnabel.“ Zwei, drei Spatenstiche später ist auch ein Wattwurm gefunden, von denen es hier Tausende gibt. Zu sehen sind sie üblicherweise nicht, sie leben in U-förmigen Röhren im Schlick, deren Ein- und Ausgang bis zur Oberfläche reicht.

Etwa auf der Hälfte der sechseinhalb Kilometer langen Strecke wartet die erste richtige Bewährungsprobe: ein Priel, über den das Wasser bei Ebbe abläuft und bei Flut wieder reinkommt. Schon im Sommer können Priele tückisch sein, weil man nie sieht, wie tief sie sind, und weil die Strömung manchmal so stark ist, dass sie den besten Schwimmer mitreißt. Im Winter sind sie noch unangenehmer, weil das Wasser nun eiskalt ist. Für ein paar Teilnehmer hat Matthiesen schlechte Nachrichten: „Eure Gummistiefel sind zu kurz! Da läuft gleich das Wasser rein.“ Sicherheitshalber verteilt sie einen Müllbeutel für jeden Stiefel.

Ein zaghafter Schritt nach vorn, der Fuß verschwindet im Wasser, noch ein Schritt, schon reicht es bis weit über den Knöchel. Beim nächsten Schritt wäre das Nordseewasser wohl schon im Gummistiefel gewesen. Zum Glück geht alles glatt, keiner stolpert, keiner fällt hin.

Land unter ist auf den Halligen Alltag, vor allem im Winter

Am Horizont sind die Haus­dächer von Oland schon zu sehen – und bald auch die Häuser, die erhöht auf Warften stehen, damit Sturm­fluten nicht so leicht bis an die Haustür kommen. Denn Land unter ist hier Alltag, vor allem im Winter. Die Halligen werden bei heftiger Flut von der Nordsee überspült, 20-mal im Jahr ist nichts Besonderes. Dann gucken nur noch die Warften aus dem Wasser.

Als Oland erst erreicht ist, ist es Zeit für einen Einkehrschwung. Auf der kleinen Hallig leben nur noch 14 Menschen. Nach einer kleinen Stärkung im einzigen Gasthaus geht es zurück – diesmal per Schiff. Unter Deck sitzen alle zusammen an zwei Tischen. Matthiesen erzählt von den kommenden Watttouren, die sie geplant hat.

Die nächste Wattwanderung zu einer Adventsandacht auf Oland ist am Sonntag, 29. November, geplant.