Nah an der Natur, aber auch an Hamburg – die Bürger von Tangstedt im Kreis Stormarn genießen beide Vorzüge. Ihre Lebensqualität verteidigen sie selbstbewusst. Wer in die Gemeinde umsiedeln möchte, muss auf dem Immobilienmarkt allerdings Geduld bewahren

Ein Dorf mit sieben Ortsteilen, das mit seiner Fläche von fast 40 Quadratkilometern um rund die Hälfte größer ist als Rahlstedt mit seinen 70.000 Einwohnern. Eine Gemeinde, die seit einer Kommunalreform 2008 zwar sein Stormarner Kennzeichen behalten hat, aber aus Itzstedt im Kreis Segeberg verwaltet wird. Und Bürger, die sich ihrer hohen Lebensqualität nicht nur bewusst sind, sondern hierfür auch bereitwillig streiten. Tangstedt ist so etwas wie ein Paradebeispiel für den Hamburger Speckgürtel.

„Wenn junge Familien ihr Nest bauen wollen, kommen sie gerne nach Tangstedt“, sagt Raymund Haesler, 69. Der Gemeindearchivar und pensionierte Schulleiter hat diesen Weg schon lange hinter sich gebracht, lebt seit 1979 in Tangstedt. Seinerzeit war der Ort noch relativ jung, nachdem er 1970 durch einen Zusammenschluss der bis dahin selbstständigen Tangstedt, Wilstedt und Wulksfelde gegründet worden war. Komplettiert wird die statistisch fünftreichste Kommune im Kreis Stormarn durch Rade, Wiemerskamp, Ehlersberg und Wilstedt-Siedlung.

„Zwischen Wilstedt und Tangstedt herrscht aber auch heute noch ein bisschen Konkurrenzdenken“, weiß Haesler. „Das hat mit der Geschichte zu tun. Das Gut Tangstedt hat seine Leute erst im 19. Jahrhundert aus der Leibeigenschaft entlassen, die Wilstedter waren schon früher frei.“

Was alle eint, ist der ländliche Charakter. „Bis auf die Durchgangsstraßen ist es hier sehr ruhig“, sagt Raymund Haesler. Kein Wunder, dass viele Menschen hier fast schon allergisch reagieren auf Störfaktoren. So gab es über Jahre öffentlichkeitswirksame Proteste gegen den Kiesabbau der Firma Eggers, mittlerweile ist an dieser Front aber Frieden eingekehrt zwischen Anwohnern und dem größten Gewerbesteuerzahler. Zankapfel ist nun eher der Verkehrslärm, denn Tangstedt wird insbesondere von Lkw-Fahrern gerne als Abkürzung zwischen A 7 und A 1 genutzt. Der deswegen immer wieder gemachte Vorschlag, es könnte doch eine Entlastungsstraße durch den Tangstedter Forst geschlagen werden, war allerdings politisch nie konsensfähig.

Der Attraktivität haben derartige Debatten sowieso nie geschadet. „Die kurze Anbindung nach Hamburg ist sehr positiv, mit dem Auto bin ich in 20 Minuten im Zentrum“, sagt Raymund Haesler. „Und in den kleinen Ortsteilen bleiben die Menschen nicht lange allein. Gerade in den vielen Vereinen können Menschen schnell Fuß fassen.“

Immobilien aus der Gemeinde sind so gut wie nie Ladenhüter, neu ausgewiesene Grundstücksflächen in der Regel schnell verkauft. „Da kann ich mich als Bürgermeister nur freuen“, sagt Norman Hübener (SPD), übrigens selbst in der Immobilienbranche tätig. „Die Gemeinde ist ein sehr gefragter Standort. Das sieht man an steigenden Grundstückspreisen und daran, dass wir kaum Leerstand haben.“

Letzteres bereitet den Lokalpolitikern in diesen Tagen allerdings Kopfzerbrechen. Denn Tangstedt nimmt deutlich weniger Flüchtlinge auf, als es angesichts seiner Größe eigentlich müsste. Der Grund: Es gibt schlicht kaum Wohnungen auf dem freien Markt, denn zu einem großen Teil ist die Bebauung durch Einzelhäuser geprägt. Archivar Haesler weist in diesem Zusammenhang auf ein zweites Problem hin: „Es fehlt behindertengerechter Wohnraum. Das ist ein Thema, das in der Politik reaktiviert werden soll.“

Hin- und hergerissen sind die Tangstedter, wenn die Sprache auf „ihre“ Costa Kiesa kommt. Der Badesee – ein ehemaliges Kies-Abbaugebiet – hat die Gemeinde im ganzen Umland berühmt gemacht, im Sommer kommen an heißen Tagen Tausende Ausflügler an den Gratis-Strand. Weil Verkehr und nächtliche Partys überhandgenommen haben, diskutiert eine Arbeitsgruppe seit Monaten über ein neues Konzept. Sprich: Wer in Tangstedt baden gehen möchte, soll möglichst bald Eintritt zahlen. Das kleine, aber feine Dorf am Rande Hamburgs ist sich eben nie zu schade, eigene Interessen selbstbewusst zu vertreten.