Hamburg . 17-jährige Auszubildende aus Billstedter Supermarkt will sich mit Freundin dem IS anschließen. Trauerfeier nach Freitod des Vaters.

Die Tochter zieht in den Terrorkrieg – ihr Vater bringt sich um. Offenbar aus Sorge und Verzweiflung darüber, dass seine Tochter Ece B., 18, aus Geesthacht zusammen mit ihrer Freundin Merve S., 17, aus Hamburg Anfang Juni verschwunden sind, um sich Terrormilizen des „Islamischen Staates“ (IS) anzuschließen, hat sich Eces Vater das Leben genommen. Hunderte Verwandte und Freunde nahmen am Dienstagmittag bei einer bewegenden Trauerfeier Abschied von dem 50-Jährigen.

Bereits am Wochenende hatte sich mehr als 200 trauernde Menschen in der Geesthachter Innenstadt versammelt. Etliche erlitten Kreislaufzusammenbrüche und mussten auf der Rathausstraße von einem Großaufgebot von 50 Sanitätern und Ärzten medizinisch versorgt werden.

Die jungen Mädchen hatten ihre Ausreise offenbar lange geplant. Darauf deuten Notizen hin, die Angehörige und Fahnder in ihren Zimmern fanden. In einem Hamburger Reisebüro buchten die beiden Flüge nach Istanbul. Die 17-jährige Merve, die nach Abendblatt-Informationen bei ihrer Mutter in Hamburg-Billstedt lebte, legte dafür offenbar eine gefälschte Vollmacht vor.

Noch bis vor wenigen Tagen sollen sich Merve und Ece in Istanbul aufgehalten haben. Ihr genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Wer sind die beiden Mädchen, die sich mit einem One-Way-Ticket scheinbar aus heiterem Himmel aus dem Staub gemacht haben, um sich in Syrien den Kämpfern des IS anzuschließen? Beide Mädchen haben türkische Wurzeln. Merve S. aus Hamburg hat nach Abendblatt-Informationen im vorigen Jahr ihre Schule beendet. Danach begann sie im Februar in einem türkischen Supermarkt in der Billstedter Hauptstraße eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Aber daraus wurde nichts. Am 1. Juni erschien das dunkelhaarige Mädchen, das von Bekannten als ruhig und zurückhaltend beschrieben wird, zum letzten Mal im Lebensmittelgeschäft. Einen Tag später tauchte Merve ab.

Selbst für die Eltern sei es schwierig, eine Radikalisierung zu erkennen

„Ich kenne Merve. Sie arbeitete hier im Laden. Sie saß öfters an der Kasse. Sie war sehr ruhig“, sagt eine junge Kundin, die regelmäßig im Supermarkt in der Billstedter Hauptstraße einkauft. Dass Merve gerade in den sogenannten „Heiligen Krieg“ ziehen will, dazu will sich die Billstedterin lieber nicht äußern. Merves Arbeitskollegen beschreiben die 17-Jährige ebenfalls als unauffällig. „Sie hat ihre Arbeit gemacht. Sie ist nicht aufgefallen“, sagt ein junger Verkäufer. Ece, die bis zum 1. Juni in Geesthacht zur Schule ging, hatte schon einmal versucht, sich mit einer anderen Freundin nach Syrien in den Terrorkrieg abzusetzen. Das war im November 2014. Nach Hinweisen aus der Familie griff die türkische Polizei Ece und ihre damalige Freundin zwei Tage später am Flughafen in Istanbul auf und brachte die Mädchen nach Hause.

Seitdem hält das Landeskriminalamt Kontakt zu Eces Familie. Die Polizei unternahm aber anscheinend nichts, um eine erneute Ausreise Eces zu verhindern. „Wir hatten keine Anhaltspunkte, dass Ece sich radikalisierte oder einer verbotenen Organisation anschließen will“, sagte LKA-Sprecher Stefan Jung dem Abendblatt. Für die Polizei sei es schwierig, man könne schließlich nicht in die Köpfe der Mädchen schauen. Und es gebe keine sichtbaren Anzeichen. Selbst für die Eltern sei es schwierig, eine Radikalisierung zu erkennen. „Es ist eine schrittweise Wesensveränderung“, sagt Jung. „Die Mädchen haben einen neuen Freundeskreis, sie orientieren sich stärker nach Hamburg, lesen andere Bücher. Dies wahrzunehmen und als Radikalisierung einzustufen, ist schwierig.“

Selbst als die Ermittler Ece B. und ihre Freundin im November 2014 zurückholten, hätten Eces Eltern nicht geahnt, dass ihre Tochter unterwegs zu den Terroristen war. Man könne allerdings erwarten, dass die Polizei etwas genauer hinschaut, wenn ein Mädchen von den Eltern aus Istanbul zurückgeholt wird und ein paar Monate später erneut nach Istanbul reist, gibt Jung zu.

Mit den Worten „Ich bin auf einem Schulausflug und komme später“, hatte sich Ece B. am 2. Juni zu Hause verabschiedet. Den Ausflug gab es nicht, Stattdessen flog Merve offenbar nach Istanbul. „Nach unseren Erkenntnissen ist Merve noch in der Türkei. Dort leben Merves Vater und Verwandte“, sagt die Hamburger Polizeisprecherin Karina Sadowsky. Das Bundeskriminalamt sei in den Fall eingebunden und arbeite eng mit den türkischen Behörden zusammen. Vielleicht wird daraus Merves letzte Chance, unversehrt nach Deutschland zurückzukehren.