Lüneburg/Hamburg. Der frühere SS-Mann Oskar Gröning steht vor Gericht. Anklage wirft dem 93-Jährigen Beihilfe zum Mord vor - in mindestens 300.000 Fällen.

In Lüneburg muss sich ein 93-jähriger früherer Angehöriger der Waffen-SS vor dem Landgericht verantworten. Dem Mann wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen. Der Prozess beginnt am kommenden Dienstag (21. April).

Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft Oskar Gröning vor, 1944 im Konzentrationslager Auschwitz das auf den Bahnrampen zurückgelassene Gepäck der Häftlinge weggeschafft und das dort entwendete Geld gezählt und in die SS-Zentrale nach Berlin geschickt zu haben. Bis Ende Juli sind 27 Verhandlungstage angesetzt.

70 Jahre nach der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau kann Gröning vor Gericht gestellt werden, weil die Justiz seit 2011 nicht mehr darauf besteht, eine direkte Beteiligung an den Morden nachzuweisen. Es reicht aus, dass ein Beschuldigter beigetragen hat, die NS-Mordmaschinerie am Laufen zu halten.

Der „Buchhalter von Auschwitz“

Gröning wurde von Journalisten „Buchhalter von Auschwitz“ genannt. Laut Anklage war ihm bewusst, dass die als „nicht arbeitsfähig“ eingestuften überwiegend jüdischen Häftlinge unmittelbar nach Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Dem Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass die im Rahmen der Selektion als nicht arbeitsfähig eingestuften überwiegend jüdischen Häftlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft in eigens dafür errichteten Gaskammern ermordet wurden. Durch seine Tätigkeit habe er „dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt.“

Aus rechtlichen Gründen wurde die Anklage auf die sogenannte „Ungarn-Aktion“ im Sommer 1944 beschränkt. Damals trafen in Auschwitz-Birkenau mindestens 137 Transporte aus Ungarn ein. Von den rund 425.000 Menschen in den Zügen wurden mindestens 300.000 in den Gaskammern ermordet.

23 ausländische Journalisten vor Ort

Im Falle einer Verurteilung droht Gröning eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren. Frühere Ermittlungen gegen Gröning hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt im März 1985 mangels Beweises eingestellt.

Das nun neu angeklagte Verfahren beruht auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Sie hatte 2014 zu bundesweiten Durchsuchungen bei ehemaligen SS-Angehörigen geführt.

Die 4. große Strafkammer tritt in der Ritterakademie, einem eigens angemieteten Veranstaltungsort, als Schwurgericht zusammen. Das Medieninteresse ist groß. So wurden nach Angaben einer Sprecherin allein 23 Plätze für ausländische Journalisten reserviert. Unter den mehr als 60 Nebenklägern sind Holocaust-Überlebende und Angehörige von Opfern.

Hamburg leitet förmliches Ermittlungsverfahren ein

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen eine mutmaßliche frühere KZ-Wächterin eingeleitet. Der Vorwurf laute entweder Mord oder Beihilfe zum Mord, sagte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag.

„Das hängt davon ab, ob sie selbst Hand angelegt hat oder nicht.“ Die Staatsanwaltschaft sei dabei, sich alle Unterlagen zu dem Fall zu beschaffen.

Ende Januar war eine Strafanzeige gegen die 93-Jährige aus Hamburg eingegangen. Demnach soll sie 1945 einen Todesmarsch von Gefangenen als Aufseherin begleitet haben. Nach Medienberichten starben auf dem Weg vom KZ Groß-Rosen in Niederschlesien nach Guben in der Niederlausitz rund 1400 von 2000 gefangenen Frauen.

Unter der britischen Besatzungsmacht sei sie bereits 1945 in einem Prozess gegen insgesamt 45 KZ-Wächter und SS-Angehörige in Lüneburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, hatte die „Welt am Sonntag“ berichtet. (dpa/lem)