Das Ostseebad Binz boomt wie kein zweites. Eine Wohnung mit Meerblick gibt es nicht mehr – nur im Nachbarort Prora, dem größten Sanierungsprojekt der Insel Rügen. Entsteht hier ein zweites Sylt?
Binz. Ausverkauft: Wer im Ostseebad Binz auf der Insel Rügen eine Wohnung mit Meerblick kaufen will, wird keine finden. Der Markt ist leer gefegt, und das trotz Preisen im siebenstelligen Bereich. Platz für Neubauten gibt es auch keinen mehr. Investoren weichen daher auf den Nachbarort Prora aus: Aus 80 Jahre alten Hitler-Bauten sollen dort Luxuswohnungen direkt am Strand werden. Wenn niemand aufpasst, ist Rügens Herz auf dem besten Weg, ein zweites Sylt zu werden. Denn die Einheimischen können sich das Leben im Neubau schon lange nicht mehr leisten.
„24-Stunden-Service für Interessenten“, wirbt der Immobilienriese Engel & Völkers nahe der Binzer Strandpromenade. Wo bis vor ein paar Jahren ein Erholungsheim für Kinder stand, liegen jetzt „Exklusive Villenwohnungen am Park“. Kathrin Lange leitet das Büro von Engel & Völkers an der Strandpromenade, die Immobilienmaklerin beobachtet den Markt seit zehn Jahren. „Binz ist sehr anspruchsvoll geworden“, sagt sie. Anspruchsvoll bedeutet hier in erster Linie hochpreisig. So kostet ein Quadratmeter in A-Lage laut Lange heute bis zu 8000 Euro. Andere Binzer sprechen hinter vorgehaltener Hand von Preisen im fünfstelligen Bereich. Vor ein paar Jahren waren dieselben Wohnungen noch für die Hälfte zu haben.
Für Liebhaberobjekte im Millionenbereich gibt es laut Lange mehr Nachfrage als Angebot, das Gleiche gilt für Wohnungen im Bereich von 200.000 bis 250.000 Euro: „Hier ist das Angebot stark begrenzt. Es gibt viel zu wenig Wohnungen in dieser Spanne.“
Mit einer Immobilienblase rechnet die Maklerin trotz der gestiegenen Preise nicht. Etwa 150 Wohneinheiten seien in den vergangenen zwei Jahren in Binz entstanden, etwa 120 davon hat Engel & Völkers betreut. „Zurzeit steht die Ampel für Neubauprojekte auf Rot“, sagt die Maklerin. „Es gibt keine attraktiven Flächen mehr, restriktive Auflagen und Beschränkungen. Da vorerst nichts Neues auf den Markt kommen wird, werden die Preise stabil bleiben.“
Im beliebtesten Ostseebad der Insel mit 15.000 Gästebetten bei etwa 6000 Einwohnern wird es längst so eng, dass Investoren auf das vier Kilometer entfernte Prora ausweichen.
Dort stehen in Reih und Glied verfallene graue Häuserblöcke, die Adolf Hitler einst als Ferienanlage für 20.000 Menschen geplant, aber nie zu Ende geführt hat – und die die Nationale Volksarmee während der DDR-Zeit als Kasernen nutzte.
Käufer werden mit Abschreibungen von 70 Prozent des Kaufpreises gelockt, weil die 80 Jahre alten Kästen unter Denkmalschutz stehen. Die Lieblingswörter lauten „lukrativ“, „wertvoll“, hochwertig“ und „stilvoll“. Die einzelnen Abschnitte der kilometerlangen Kette heißen nicht mehr schnöde „Block 9“, sondern zum Beispiel „Haus Lido“. In einem „Showroom“ gibt es Informationen für Investoren, eine Musterwohnung zeigt, wie das schöne Leben einmal aussehen soll in den schlichten Klötzen.
Von jährlich 6,5 Millionen Übernachtungen ist auf einem Werbeschild die Rede, von „Filetgrundstücken in erster Reihe“ auf dem anderen. Das nächste zeigt einen Oldtimer-Bentley vor weiß verputzten, edel sanierten Luxusherbergen: ein Bild der erhofften Zukunft. Das Parkhaus ist schon im Bau, ein Wellnessbereich geplant – und die Fertigstellung für mehr als 260 Wohnungen ist für Juni 2016 angekündigt. Das Motto: „Neues Prora. Weltbekanntes Baudenkmal wird zur Wohlfühl-Oase“. Ein erstes Hotel soll schon in einem Jahr eröffnen.
Die erwartbare Reaktion mancher ist schon auf die Wände gesprüht: „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“. Zu spät. Der Bagger ist schon da.
Binz schneide sich mit dem Projekt ins eigene Fleisch und werde Übernachtungsgäste an den neuen Nachbarn verlieren, sagt einer, der selbst als Bausoldat in Prora stationiert war und heute Gäste durch die Ausstellung „Macht Urlaub“ führt. „Hier geht es um Betongold, niedrige Zinsen“, sagt er. „Wenn die wieder steigen, gibt es hier Probleme.“
In Binz ist Kurdirektor Sebastian Schenk dagegen von dem Erfolg der Entwicklung im Ortsteil Prora überzeugt. „Das funktioniert. Binz ist das Traditionelle, Prora wird das Moderne sein.“ Bei Zuwachsraten von fünf Prozent bei den Gästezahlen und zwei Prozent bei den rund 2,2 Millionen Übernachtungen im Jahr könne das Ostseebad auf Deutschlands größter Insel die zusätzlichen Hotelbetten, Ferien- und Eigentumswohnungen gut verkraften. „Binz liegt im aktuellen Reisetrend von Trivago auf Platz eins der beliebtesten internationalen Reiseziele der Deutschen für einen Aufenthalt von einer Woche.“ Mallorca liegt auf Platz drei.
Eine, die hier geboren ist und Binz heute Besuchern zeigt, kennt auch andere Stimmen: „Viele Einheimische sagen, ,jetzt reicht es aber bald auch mal.‘ Selbst leisten könnte sich hier sowieso niemand von uns eine solche Wohnung.“ Denn gut 80 Prozent der Rüganer leben vom Tourismus – im Winter sind viele von ihnen arbeitslos.
Das weiß auch Bürgermeister Karsten Schneider. „Das Ende der Fahnenstange ist für mich in Bezug auf Betten erreicht, die Infrastruktur ist in der Hauptsaison kurz vor dem Kollaps. Wenn wir wachsen wollen, müssen wir das in der Haupt- und Nachsaison sowie im Winter tun. Da haben wir Reserven.“
Das Projekt Prora nennt Schneider weltweit einmalig. „Die Investoren und die Gemeinde versuchen, einer 4,5 Kilometer langen Ruine Leben einzuhauchen. Wir entwickeln dort etwas, das genauso groß ist, wie wir selbst schon sind. Wichtig ist daher, dass ein echter Ortsteil mit eigener Infrastruktur entstehen wird. Dann kann es gesund funktionieren.“ Geplant sei eine Mischung aus Beherbergung, Ferienwohnungen und Dauerwohnen. „Fürs Dauerwohnen haben wir verstärkt Nachfrage, vor allem von außerhalb.“ Die Mietpreise liegen mit acht bis zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter teilweise unter dem Niveau im mondänen Zentrum.
Ob Prora leben oder von der Beton- zur Wellnesswüste wird, zeigt sich in zehn Jahren. Auch Maklerin Kathrin Lange kennt die kontroversen Debatten über den Versuch, die tote Hinterlassenschaft als einen Ort für Wachstum zu nutzen, den es so nirgendwo sonst an der Ostseeküste gibt. „Prora ist ein Experiment“, sagt sie zu dem größten Immobilienprojekt der Insel seit dessen Baubeginn Anfang der 1930er-Jahre. „Eher etwas für den risikobereiten Anleger.“
90 Prozent ihrer Wohnungen in Block 1 hat Lange bereits verkauft – in der Preisspanne bis zu 250.000 Euro. Die, die in Binz derzeit fehlt. „Fest steht: Prora ist das einzige Objekt der Insel in so einer Lage und mit solchen Steuervorteilen.“