Den Inselcircus Mignon umgibt jetzt ein Erdwall. Doch niemand weiß so recht, ob er Nachbarn oder Kinder schützen soll. Vor einigen Jahren hatte es Beschwerden von Anwohnern gegeben.
Wenningstedt. Dies ist die Geschichte einer Posse. Oder die eines Missverständnisses? Ihr Hauptdarsteller ist ein anderthalb Meter hoher Wall rund um den Inselcircus in Wenningstedt-Braderup auf Sylt. Den Zirkus will jeder der Beteiligten gerne behalten. Nebendarsteller ist das vielleicht bedeutendste steinzeitliche Denkmal in Schleswig-Holstein, das Steingrab Denghoog. Im Sommer kampiert der Zirkus in unmittelbarer Nähe, stört aber das Archäologische Landesamt nicht. Denn er kommt zwar jedes Jahr aus Hamburg auf die Insel und ist dort zur Institution geworden. Er ist aber nach wenigen Monaten wieder weg. Ein Wall aber hätte den Blick auf den Denghoog gestört. Zumindest ein drei Meter hoher Lärmschutzwall.
Beginnen wir die Geschichte beim Herrn Direktor des Inselcircus. Er heißt Martin Kliewer und ist den Rest des Jahres in Hamburg Leiter des Circus Mignon. Im Sommer aber lebt er auf Sylt im Zirkuswagen. Die meisten seiner sieben Kinder sind mit dabei, der Jüngste geht auf der Insel in den Kindergarten, und die Älteren arbeiten mit – wie sich das für einen Zirkus gehört. Im Inselcircus werden seit 1998 in jedem Jahr zwischen 1200 und 1500 Kinder jeweils eine Woche lang zu kleinen Artisten ausgebildet. Sie präsentieren immer freitags im Mitmachzirkus dann das, was sie in der Woche gelernt haben.
In diesem Jahr ist etwas anders. Denn Martin Kliewer erklärt bei jeder Vorstellung, was es denn mit diesem neuen Wall rund um das Zirkusgelände auf sich hat. Es seien „die neuen Spargelbeete des Herrn Direktor auf Sylt“. Er meint das natürlich nicht ganz ernst.
Aber was hat es denn nun wirklich mit dieser vielleicht skurrilsten Sandburg der beliebten Urlaubsinsel auf sich? Die Erklärung passt vielleicht ganz gut in die Zirkuswelt. Vor einigen Jahren, es dürfte um das Jahr 2006 gewesen sein, erinnert sich Martin Kliewer, habe es Beschwerden von Anwohnern gegeben. Sie klagten über den Lärm der Zirkusvorstellungen und den der Kinder. 2009 war es dann soweit: Die Varieté-Vorstellungen am Abend (laut) wurden abgeblasen, es gab ein Jahr nur Zirkuspädagogik (laut, aber tagsüber). Im Jahr darauf wurde das Zelt gedreht und um 20 Meter nach hinten versetzt, „damit die Lautsprecher nicht mehr in Richtung Nachbarn schallen“, sagt Kliewer.
Die Vorstellungen wurden auf 17 Uhr verlegt, und die Bürgermeisterin Karin Fifeik sicherte den Anwohnern zu, einen drei Meter hohen Lärmschutzwall zu prüfen. Mit dem Archäologischen Landesamt war das nicht zu machen, die 5000 Jahre alte Grabkammer Denghoog sei durch die Bebauung in der Umgebung ohnehin arg bedrängt, begründet Eicke Siegloff vom Landesamt. Der kleinere Wall, der jetzt gebaut wurde, störe jedoch nicht.
„Das ist jetzt wohl ein Kompromiss, ein Wall von einem Meter fünfzig“, vermutet Kliewer, der zwar nichts dagegen hat, aber auch meint: „Das nützt überhaupt niemandem etwas, was den Lärmschutz anbelangt.“ Zwei Wochen bevor der Inselcircus in diesem Jahr seine Wagen aufstellte, die Zelte aufschlug und das Restaurant aufbaute, wurde der Wall aufgeschüttet. Wachsen konnte seitdem nicht viel. Der Wall ist ein Erdwall, und Kliewer antwortet auf die Fragen immer mit dem Satz vom Spargelbeet. Beschwerden wegen Lärm gebe es zudem seit Jahren nicht mehr, und den Vertrag über das jährliche Gastspiel, der 2018 endet, wollen sowohl Kliewer als auch Tourismusdirektor Henning Sieverts gerne verlängern.
Und der Wall? Was der soll, weiß Henning Sieverts auch nicht so genau, ist aber voll des Lobes für die Arbeit von Kliewer und seinen Leuten. Die Erfahrung in der Manege sei sowohl für die Artisten als auch für ihre jungen Betreuer – die meisten ehemalige Mitmach-Artisten – eine tolle Sache. „Der Zirkus weckt Begeisterung für Bewegung und stärkt das Selbstbewusstsein.“ Eine Kunst sei, dass der Mitmachzirkus für die Kinder und der für die Senioren nie peinlich werde. Für Sieverts verkörpert der Inselcircus das, „wofür wir als Tourismusort stehen wollen“.
Soll nun aber der Erdwall wirklich vor Lärm schützen? Verantwortlich für seinen Bau ist die Gemeinde Wenningstedt-Braderup. In deren Gemeindevertretung hieß es noch im März dieses Jahres: „Der Errichtung eines Lärmschutzwalls im Bereich des B-Plans Nr. 21 ,Inselzirkus‘ ist stattgegeben worden, sodass mit dem Bau des Lärmschutzwalls begonnen werden kann.“ Also doch. Ein Lärmschutzwall von einem Meter fünfzig Höhe, über den der Lärm hinwegschallt.
Zwei Monate später hieß es im Protokoll, mit dem Erdwall werde die Vereinbarung mit den Anwohnern erfüllt. Die Vereinbarung um den Lärmschutzwall? Im Gespräch mit Bürgermeisterin Katrin Fifeik verliert der Wall auf wundersame Weise seine ersten vier Buchstaben. Man habe sich entschieden, „einen Schutzwall für die Besucher des Inselcircus zu errichten, da der Circus an zwei stark befahrenen Radwegen liegt, von denen einer zusätzlich unser Schulweg ist.“ Die Prüfung eines solchen Schutzwalls habe man den Bewohnern ebenfalls zugesagt.
Das mit dem Schutz hört sich sinnvoll an, in den Protokollen der Gemeinde ist davon aber nichts zu finden. Fifeik ergänzt noch, dass der Wall bepflanzt werden soll. Der Herr Direktor hätte da eine Idee: Wie wäre es mit Spargel?