Surferparadies an der Ostsee: Wellenreiter nehmen weite Wege auf sich, um in Rostock-Warnemünde auf den Bugwellen der großen Dänemark-Fähren zu gleiten. Doch damit könnte bald Schluss sein.
Rostock. Kenny macht es vor: Bäuchlings wirft er sich auf sein Surfbrett, rudert ein bisschen mit den Armen und mit einem Satz springt er wieder auf.
Tief gebeugt, den Blick nach oben, in perfekter Balance steht er da. Kenneth Blaine Krugel, wie der Südafrikaner mit vollem Namen heißt, weiß, was er tut: Ob in seiner Heimat oder vor Mosambik, er hat schon die ganz großen Wellen genommen.
Doch jetzt liegt sein Brett im Ostseesand von Rostock-Warnemünde. Hier gibt der 33-Jährige seit zwei Jahren Surfkurse für Einsteiger. Der Slogan: „Die Surfschule mit Wellengarantie“.
Fünf Mädchen haben den Kurs gebucht. Vorsichtig betasten sie ihre Bretter, Erfahrung im Wellenreiten haben nur wenige. „Ich komme seit Jahren aus Thüringen hierher“, sagt die 13-jährige Chantalle. „Woanders bin ich noch nie gesurft.“
Das Warten und die Mühe lohnen sich
Zum Üben legt Kenny ein Luftkissen unter die Bretter – das soll den Wellengang simulieren. Die Bedingungen auf dem Meer sind schließlich nicht optimal, der Wind bläst auf die Küste zu, das macht die Wellen unruhig. Aber sie wird schon noch kommen, die perfekte Welle, da ist sich Kenny sicher.
Eingehüllt schwarze Neopren-Anzüge waten die Teilnehmer ins Wasser, dann robben sie sich auf die Boards. Mit kräftigen Armzügen paddeln sie weg vom Strand, das salzige Wasser schlägt ihnen ins Gesicht. „Ich hätte häufiger schwimmen gehen sollen“, schnauft Kira. Doch die Mühe lohnt sich, im Hintergrund ist bereits der Garant eines gelungenen Warnemünder Surfausflugs zu sehen.
Denn dass man hier überhaupt surfen kann, haben die Sportler zwei Dänen zu verdanken – „Prins Joachim“ und „Kronprins Frederik“. Die beiden Fähren der Reederei Scandlines verkehren regelmäßig zwischen Rostock und dem dänischen Gedser. Alle zwei Stunden treiben sie auf dem Weg in den Hafen beträchtliche Wellen vor sich her.
Das gibt es nicht mal vor Hawaii
Eine solche Attraktion bleibt nicht verborgen: Im Rostocker Shop „Supreme Surf“, zu dem die Schule in Warnemünde gehört, laufen längst Anfragen aus ganz Deutschland ein. In Internetforen diskutieren selbst Nutzer vom 900 Kilometer entfernten Bodensee über die Fährwelle. „Voriges Jahr war sogar eine Dame aus Kalifornien da“, erinnert sich Verkäufer Manuel Goldmann.
„Am besten surft man hier im Sommer, wenn die Fähre voll ist und sie Verspätung hat“, rät Manuel. „Dann fährt das Schiff schneller.“ Surfen nach Fahrplan: Das gibt es nicht mal vor Hawaii.
Und auch heute haben die Surfer Glück. Größer und größer werden die Wellen, ihre weißen Spitzen sind schon von weitem zu sehen. „Jetzt müssen wir uns beeilen“, ruft Kenny. „Die Wellen kommen nur ein paar Minuten!“ Einer nach dem anderen dreht sich in Richtung Strand. Aufspringen. Tief beugen. Nach vorne blicken. Umkippen.
Immerhin einen halben Meter sind die Wellen hoch – lächerlich für Profis, für die Einsteiger eine Herausforderung. Dennoch paddeln alle so schnell es geht zurück, um es noch einmal zu probieren. Ungläubig blicken die anderen Badegäste vom Strand aus auf die Gruppe. Für ein paar Minuten ist Warnemünde eine Surf-Location.
Doch damit könnte es bald vorbei sein: Die Fähren, die die größten Wellen produzieren, sind alt und schwer. 2015 will Scandlines sie durch Schiffe mit einem effizienteren Hybrid-Antrieb ersetzen. Nach Vorarbeiten bei Blohm + Voss in Hamburg werden die Nachfolger von „Joachim“ und „Frederik“ derzeit in der dänischen Fayard-Werft fertiggestellt.
Die Bugwellen werden schwächer sein
Die Surfer nehmen das mit Zweckoptimismus. Sie wissen, dass die neuen Fähren schon vor Jahren eingeführt werden sollten. Trotzdem konnten sie bisher noch immer weitermachen. Weil die P+S-Werft in Stralsund, die die Schiffe zunächst baute, insolvent ging, verzögerte sich der Austausch.
„Wir müssen abwarten“, sagt Kenny. Die Bugwellen werden schwächer sein, die Gelegenheiten seltener. „Vielleicht müssen wir dann auf den richtigen Wind warten.“ Aber das kennen sie ja in Warnemünde: Das Warten auf die perfekte Welle.