Zwei Heimkinder aus Brandenburg starten eine gefährliche Klettertour auf Rügen, es folgt eine Rettungsaktion in 50 Metern Höhe. Die Polizei prüft nun, ob die Betreuer der Kinder ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

Potsdam/Sassnitz. Nach einer gefährlichen Klettertour zweier Heimkinder auf Rügen prüft das Land Brandenburg, ob die Betreuer ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Eine Stellungnahme des Heims aus dem Landkreis Dahme-Spreewald sei bei der Heimaufsicht eingegangen, sagte ein Sprecher des Jugendministeriums am Freitag in Potsdam. In der nächsten Woche werde es Gespräche mit der Einrichtung und möglicherweise auch mit den Betreuern der Feriengruppe geben, zu der die beiden Jungen gehörten. Die Heimleitung war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Die beiden 13- und 14-Jährigen waren am Mittwoch auf den Königsstuhl an der Rügener Kreideküste geklettert. Während der Jüngere beim Aufstieg hinfiel, sich dabei eine Schnittverletzung am Finger zuzog und umkehrte, setzte der 14-Jährige die Klettertour fort, bis er nicht mehr weiterkam, wie ein Polizeisprecher sagte.

Er musste entkräftet aus etwa 50 Metern von einem Höhenrettungsteam gerettet werden, das sich vom Plateau des 118 Meter hohen Kreidefelsens abgeseilt hatte. Der Junge erlitt Schürfverletzungen am Bein. Beide kamen zur Behandlung in ein Krankenhaus und wurden danach den Betreuern übergeben. Die beiden Jungen leben in einem Kinderheim im Landkreis Dahme-Spreewald, seien aber nach dem Unglück zu ihren Eltern nach Berlin gebracht worden, teilte der brandenburgische Landkreis Dahme-Spreewald mit.

Der Hintergrund dieser Beurlaubung blieb zunächst unklar. Die Feriengruppe habe ihren Urlaub auf Rügen nicht abgebrochen, hieß es. Zum Inhalt der Stellungnahme des Heims machte der Landkreis, der sie am Donnerstag erhalten und an die Heimaufsicht weitergeleitet hatte, keine Angaben. Das Heim ist eine stationäre heilpädagogische Einrichtung der Jugendhilfe mit 27 Plätzen.

Das zuständige Nationalparkamt hatte sich am Donnerstag milde gezeigt. Es werde keine Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die beiden Kletterer einleiten. Die Aktion am Mittwoch werde den beiden Jugendlichen genug Lehre sein, sagte die Sprecherin des Nationalparkamtes, Katrin Bärwald. „Wir gehen davon aus, dass sie mitbekommen haben, dass man der Natur mit Respekt begegnen muss.“ Die Polizei hat bislang keine Anzeige aufgenommen, wie eine Polizeisprecherin sagte. Es werde aber geprüft, ob eine Straftat - möglicherweise eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Betreuer - vorliege.

Der Nationalpark Jasmund mit dem Königsstuhl wird jährlich von mehr als einer Million Touristen besucht. Selten, aber immer wieder, versuchen Waghalsige eine Mutprobe an den aus brüchiger Kreide, Mergel, Sand und Findlingen bestehenden Kreidefelsen. „Das ist leider ein Vorfall, wie wir ihn jedes Jahr haben“, sagte Dezernatsleiter Ingolf Stodian. Er selbst habe bereits zwei Jungen aus vier Metern Höhe aus dem Kliff geholt. An einer anderen Stelle habe er eine junge Frau im Kliff beim Klettern beobachtet.

Warnschilder weisen auf die Gefahren an der Kreideküste hin. Im Nationalpark Jasmund gilt ein Wegegebot. Damit ist auch das Klettern an der Steilküste verboten. An der Kreideküste stürzen immer wieder unvermittelt Teile des Kliffs in die Tiefe. Der tragischste Vorfall ereignete sich am 26. Dezember 2011. Damals kam ein zehnjähriges Mädchen aus dem brandenburgischen Plattenburg bei einem Spaziergang mit Mutter und Schwester ums Leben. Tausende Kubikmeter Kreide hatten sich aus dem Kliff gelöst und das Mädchen getötet. Der Leichnam wurde erst einen Monat später gefunden.

Der für den Rettungsdienst zuständige Landkreis Vorpommern-Rügen will die polizeilichen Ermittlungen abwarten. Dann werde darüber entschieden, ob man die Kosten für den Einsatz den Verursachern in Rechnung stelle, sagte ein Sprecher. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die mit einem Seenotkreuzer vor Ort war und den 14-Jährigen nach Sassnitz gebracht hatte, verzichtet auf eine Rechnung. Es habe sich um eine lebensgefährliche Situation gehandelt, sagte eine Sprecherin. Diese Einsätze seien durch die Satzung abgedeckt.