Bei den Zitzewitz’ in Karlshof in Ostholstein dreht sich alles um Motorräder. Enkel Davide ist aktuell einer der besten Motocross-Fahrer in Deutschland.

Karlshof/Wangels. Der schmale kurvenreiche Weg führt vorbei an Rapsfeldern, scheinbar ins Nirgendwo. Doch plötzlich, am Ende der Straße, taucht ein roter Klinkerbau auf, im Schaufenster Motorrad an Motorrad. An der Tür steht der Chef, lacht und sagt: „Habt ihr uns also doch gefunden? Viele rufen uns zwei Kilometer vor dem Ziel an und fragen nach dem Weg, weil sie ihrem Navi nicht mehr trauen.“

Willkommen in Karlshof, einem winzigen Nest in der Gemeinde Wangels, 20 Kilometer nordwestlich von Malente. Und willkommen beim bestimmt abgelegensten Motorradhandel des Nordens. Wie um alles in der Welt kann ein Geschäft für Zweiräder hier überleben? In einer Ortschaft, die nur deshalb eine Bushaltestelle hat, damit der Sohn der Familie zur Schule fahren konnte. Die Antwort liefert der silberne Schriftzug auf dem weißen Schild am Eingang. Bert von Zitzewitz. Dieser Name hat Sound in der Motorrad-Szene. Google spuckt mehr als 25.000 Einträge aus, verwirrend ist nur der ständige Wechsel der Vornamen. Neben Bert sind es Volker, Dirk und Davide.

Zum Abendblatt-Termin sitzt das Von-Zitzewitz-Quartett mit Opa Volker, 80, seinen Söhnen Dirk, 56, und Bert, 45, sowie Enkel Davide, 22, vereint an einem Holztisch vor dem Geschäft in der holsteinischen Sonne. Der Kaffee dampft aus den Bechern, die Labradore Peanut und Bogart dösen in der Sonne. Motorsport-verrückt sind sie allesamt. Vom Opa, in den 1950ern Topfahrer auf dem Gelände-Motorrad, bis zum Enkel, aktuell einer der besten Motocross-Fahrer in Deutschland. Am Wochenende wird er in Tensfeld bei Bad Segeberg beim ADAC MX Masters fahren. Mehr als 7000 Besucher werden erwartet, wenn sich 220 Piloten mit ihren Geländemaschinen durch den Sand wühlen.

Trainieren für Tensfeld kann Davide, ein hochgewachsener blonder Schlacks, neben dem Geschäft seines Vaters. Auf dem familieneigenen Übungsgelände hockt er sich auf dem schmalen Sitz seiner orange-weiß-blau lackierten 350er-Maschine mit den tiefen Profilreifen, lässt die 55 PS kurz aufheulen und jagt über den Sand. Am Hügel springt das Motorrad sechs, sieben Meter hoch, Davide setzt mit der Sicherheit eines erfahrenen Artisten wieder auf. Gefährlich? „Stürze gehören dazu“, sagt Davide, „aber meist geht es glimpflich aus.“ Aber eben nicht immer. Davide zeigt die Narben an seinem Schlüsselbein, das er sich dreimal schon gebrochen hat. Und was sagt die Mama zu seiner Leidenschaft? „Na ja, die ist nicht gerade begeistert. Aber es ist ihr lieber, als wenn ich rumhängen würde.“

Was sollte sie auch machen gegen die Gene. Opa ist schuld, keine Frage. Der kaufte sich 1953 das erste Motorrad, stotterte die Maico in 18 Monatsraten von je 63 Mark ab: „Schrott habe ich nebenbei verkauft, anders wäre es beim Lehrlingsgehalt von 50 Mark auch nicht gegangen.“ Volker von Zitzewitz, geflohen mit der Familie 1945 aus Pommern, schraubte und schweißte so lange an seiner Maschine, bis sie für das Gelände taugte. In den 1950er-Jahren raste er mit seiner Maico als Werksfahrer durch halb Europa von Sieg zu Sieg. Ein Crash bei den Six Days mit einem VW Bus, der ihm auf der abgesperrten Strecke entgegenkam, stoppte seine Karriere jäh. Der damals 26-Jährige brach sich Schädel, Kiefer, Jochbein und die Hand, lag 16 Tage im Koma.

Stolz zeigt sein Sohn Bert eine rote Maico in der Garage, die so blitzt, als sei sie gerade von der legendären Motorradschmiede im schwäbischen Pfäffingen gebaut worden. Doch Maico ging Mitte der 1980er pleite, dieses Motorrad hat Dirk von Zitzewitz für seinen Vater aus Originalteilen gebastelt.

Bei aller Liebe für die Geschwindigkeit, die von Zitzewitz’ sind keine Hasardeure. Wenn eine Strecke nach Dauerregen zu gefährlich wird, packt Bert, 1990 Vizeweltmeister, Sohn und Motorräder lieber wieder in das weiße Wohnmobil mit dem Stern und fährt zurück nach Ostholstein. „Kein Punkt in der Fahrerwertung ist ein unvertretbares Risiko wert”, sagt er.

Sein Bruder Dirk ist der prominenteste Grenzgänger der Familie in Sachen Motorsport. Um seinen Hals baumelt ein Lederband mit einer Indianerspitze, ein Glücksbringer seiner Frau. Glück kann er wahrlich gebrauchen, seit 1997 ist Dirk von Zitzewitz Dauergast bei der Rallye Dakar, der wohl gefährlichsten Motorsportserie der Welt. Zunächst raste er auf dem Motorrad durch die Wüste, jetzt fährt er als Co-Pilot im Toyota seines Freundes Giniel de Villiers. 2009 hat das Team die Rallye vor allem dank seiner Navigationskünste gewonnen. Es ist ein Sport am Limit, im Zweifel hängt das Leben der beiden davon ab, dass Dirk von Zitzewitz seinem südafrikanischen Piloten jede gefährliche Stelle korrekt ansagt. Unfälle haben sie natürlich trotzdem hinter sich. Er sagt: „Aber das ist im Normalfall nicht so schlimm wie auf dem Motorrad, wo du nach einem schweren Sturz deine Knochen zusammensammelst.“

Im Hauptberuf bleibt er dem Motorrad trotzdem treu, schult Motocross-Amateurfahrer: „Mein Bruder liefert die Maschinen, ich den Spaß dazu.“ Am Wochenende wird er genau hinschauen, wie sich sein Neffe in Tensfeld schlagen wird. Der familiäre Druck für Davide ist so gering nicht. Papa und Onkel waren schon Deutsche Enduro-Meister. Genau 25-mal.

Alle Informationen zu der Master-Serie unter http://www.adac-mx-masters.de