Nicht ganz werkgetreu, aber spannend und kurzweilig: 7500 Besucher feiern Premiere der Karl-May-Spiele. Nicht alles funktioniert dabei wirklich gut. Manche Kampfszenen sind logisch schwer nachzuvollziehen.
Bad Segeberg. Auf die beiden Hauptakteure müssen die 7500 Besucher im Freilichttheater am Kalkberg nicht lange warten. Die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand reiten, musikalisch begleitet von der berühmten Winnetou-Melodie, gleich zu Beginn durch den Mittelgang quer durch die Publikumsreihen. Jan Sosniok und Wayne Carpendale sind die ersten Darsteller, die zu sehen sind. Ein ungewöhnlicher Auftakt, denn eigentlich greifen sie immer erst dann ein, wenn die Handlung schon vorangeschritten ist. Aber in diesem Jahr ist vieles anders in Bad Segeberg: „Unter Geiern – Der Geist des Llano Estacado“ ist in mancher Hinsicht eine ungewöhnliche Inszenierung.
Michael Stamp, der Autor der Bühnenfassung, hat sich einen Kunstgriff erlaubt, der vielleicht nicht im Sinne von Karl May sein mag, dieser Aufführung aber guttut. Er hat mit Buffalo Bill eine Figur eingebaut, die in den Karl-May-Büchern natürlich nie auftaucht. Der Showman zieht mit seinem Trupp durch die Wüstenlandschaft des Llano Estacado und gibt Vorführungen für das geneigte Publikum auf der Bühne und für die Zuschauer in der Kalkberg-Arena, die auf diese Weise Theater im Theater erleben. Kunstschützen, Jongleure, Messerwerfer und Komiker beleben die Aufführung.
Der Hamburger Schauspieler Joshy Peters, seit 1987 im Ensemble, spielt Buffalo Bill, der auch für die Fortführung der Handlung wichtig ist: Er beteiligt sich maßgeblich an der Jagd auf die berüchtigte Geierbande und hilft schließlich mit, sie zur Strecke zu bringen. Buffalo Bill und Karl May waren zwei liebenswerte Blender und Aufschneider, sodass es nur folgerichtig ist, sie jetzt gemeinsam für Unterhaltung sorgen zu lassen.
80 Schauspieler und Komparsen sowie 25 Pferde bei „Unter Geiern“
Neben dem souveränen Wayne Carpendale, der seinen Old Shatterhand sehr sportlich anlegt, und Jan Sosniok, dem als Winnetou noch ein paar Ecken und Kanten fehlen, ist Gaststar Christian Kohlund die bühnenbeherrschende Persönlichkeit. Er spielt souverän und mit viel Charisma den Priester Burton, der sich schnell als Kopf der Geierbande entpuppt. Als einziger Darsteller benötigt er kein Pferd: Er lässt sich kutschieren oder stapft zu Fuß durch den Sand der Arena. Kohlund kann reiten, aber den Karl-May-Spielen war das Risiko zu groß, den Schauspieler auf ein Pferd zu setzen. Egal – er behält auch stehend, gehend oder sitzend die Fäden in der Hand. Ansonsten bietet die Inszenierung wieder alles, was zu einer familiengerechten Unterhaltung gehört. Jede Menge Explosionen, Feuerbrünste, atemberaubende Kämpfe in schwindelnder Höhe, spektakuläre Stürze und Indianerüberfälle, bei denen auch der Zuschauerraum einbezogen wird, tief fliegende Adler und Geier. Viel Humor: rülpsende Pferde zum Beispiel, ein schusseliger Professor, der eine Medizin gegen „Bammel“ kreiert und dabei doch nur ein scharfes Abführmittel zustande bringt. Alles sehr deftig und derb – aber die Zuschauer lieben es.
Dazu kommen flotte Sprüche mit aktuellem Bezug: „Dieser bescheidene Priester ist nicht aus Limburg“, heißt es, als Priester Burton sich in einer Szene allzu zurückhaltend gibt. Die Erwachsenen verstehen das, die Kinder eher nicht.
Nicht alles funktioniert wirklich gut. Manche Kampfszenen sind logisch schwer nachzuvollziehen, und wenn Reiner Schöne als Erzähler aus dem Off den Fortgang der Handlung beschreibt, damit die Zuschauer auch verstehen, wie es weitergeht, ist das eigentlich eine ungeheure Theatersünde. Bei einer Karl-May-Inszenierung muss aber nicht alles politisch korrekt zugehen. Hier zählt der Spaß an der Sache. Und den können die Zuschauer anderthalb Stunden lang genießen. Manche kommen schon seit vielen Jahren zu den Karl-May-Spielen – wie zum Beispiel Sandra Krämer, 39, und Andrea Schreyer, 43, aus Cuxhaven, die Stammgäste bei den Premieren in Bad Segeberg sind. „In diesem Jahr passt alles zusammen; die Schauspieler, die Kostüme, das ganze Drumherum“, sagen sie. „Ganz wunderbar.“ Carlo von Tiedemann, mit Tochter Viktoria Premierengast, lobt die Inszenierung ebenfalls: „Alles ganz toll, wirklich.“
„Unter Geiern – Der Geist des Llano Estacado“ steht seit 1952 erst zum dritten Mal auf dem Spielplan der Karl-May-Spiele. Regisseur Norbert Schultze jr. hat das Spektakel mit 80 Mitwirkenden und 25 Pferden souverän inszeniert. Es ist seine 14. Regiearbeit in Bad Segeberg. Damit ist er der „Rekordhalter“ unter den Karl-May-Regisseuren.