Luise Amtsberg sitzt für die schleswig-holsteinischen Grünen als jüngste Abgeordnete des Nordens im Parlament. Ihr Thema ist die Flüchtlingspolitik.
Kiel/Lüneburg. Es gehört schon einiges dazu, bei einem Treffen mit der Kreishandwerkerschaft zuzugeben, nicht zu wissen, was ein Zimmermann macht. Luise Amtsberg tut das. Die Bundestagsabgeordnete ist auf Vorstellungstour in ihrem Wahlkreis Kiel. Das Ausbildungszentrum des Bauhandwerks liegt in einem Industriegebiet am Stadtrand, am Tisch sitzen ältere Herren und die Geschäftsführerin. Wenn sie überrascht sind von der Politikerin in schwarzem Stretchminirock und mit trendigem Undercut, lassen sie es sich nicht anmerken. Es geht um Fachkräftemangel, Nachhilfe für Auszubildende und die Probleme nach der Aufhebung der Meisterpflicht. Hinterher wird Innungs-Obermeister Norbert Pöhlmann sagen, dass er das Gespräch „erfrischend“ fand. „Normalerweise wissen unsere Politiker ja immer alles.“ Er meint alles besser, sagt das aber nicht.
Die schleswig-holsteinische Grüne gehört zu den Neuen in der Berliner Politik. Mit 29 Jahren ist sie die jüngste Parlamentarierin aus dem Norden und was für eine politische Senkrechtstarterin. 2009 war sie in den Landtag an der Förde gewählt worden, als bis dahin jüngste Frau. Seit knapp zwei Jahren ist sie zudem Kieler Kreisvorsitzende. Anfang vergangenen Jahres machte ihre Partei sie zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 – und sicherte ihr damit den Einzug in den Bundestag. Klar, dass das auch Kritik provoziert. Sie sei zu jung, ohne erlernten Beruf, mit zu wenig Lebenserfahrung. Luise Amtsberg lächelt nur. „Gute Politik macht man, wenn man fleißig ist, beharrlich und vor allem motiviert.“ Ihr Thema ist die Flüchtlingspolitik. Um da etwas zu bewegen, sei sie im Bundestag, sagt die Kielerin. Dabei hat sie auch schon Kämpferqualitäten in der eigenen Fraktion gezeigt. Bei der Verteilung der Posten setzte sie sich als Sprecherin für Flüchtlingspolitik durch – gegen Grünen-Urgestein und Menschenrechtsexperten Volker Beck, der den Bereich auch gern gehabt hätte.
Luise Amtsberg ist in Ost-Berlin aufgewachsen. Als die Mauer fiel, war sie sechs Jahre alt. In ihrem Elternhaus sei viel über Politik geredet worden, sagt sie, mit ablehnender Haltung gegenüber dem SED-Regime. „Das hat mir klargemacht, wie wichtig Bürgerrechte sind.“ Als Schülerin engagierte sie sich gegen den wachsenden Rechtsextremismus. Kurz nach Beginn ihres Studiums in Kiel – Islamwissenschaften, Politik und evangelische Theologie – heuerte sie als Praktikantin bei den Grünen an. Im Bundestagswahlkampf 2005 klebte sie die ersten Plakate, begleitete den damaligen Außenminister Joschka Fischer durch die holsteinische Provinz – und fühlte, dass sie am richtigen Platz ist.
An diesem Tag ist das Politikerinnenleben vor allem stressig. Nach dem Termin mit den Handwerksfunktionären sitzt die Jungpolitikerin im Zug nach Lüneburg, die Leuphana-Universität hat sie zu einer Podiumsdiskussion über die europäische Flüchtlingspolitik eingeladen. Die Grüne sitzt in den Ausschüssen für Inneres und Petitionen, ist stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Nachdem es in den ersten Monaten vor allem um Organisatorisches gegangen ist, läuft seit Jahresbeginn der politische Betrieb in Berlin. Gleich im Januar hat Amtsberg ihre erste Rede zur europäischen Flüchtlingspolitik gehalten. Ihr Auftritt bekam gute Noten, auch von der Presse. „Da bin ich wirklich angekommen.“
Ihre Ziele für die Legislaturperiode sind klar definiert. Sie kämpft für ein solidarisches System in Europa bei der Verteilung der Flüchtlinge, und für die Öffnung der Sprach- und Integrationskurse. Altersarmut ist ein Thema, dass sie beschäftigt. „Bei so wichtigen Fragen sollte es um die Sache gehen und nicht um ideologische Grabenkämpfe.“ Luise Amtsberg fordert mehr parteiübergreifende Kompromisse – und steht damit für eine neue Politikergeneration, die sich nicht nur per Facebook und Twitter global vernetzt, sondern vor allem an konkreten Ergebnissen interessiert ist. Dass sie dabei auch durchaus kämpferisch ist, steht nicht im Widerspruch. „Wir denken viel zu viel an wirtschaftliche Fragen und nicht an die humanitären Folgen“, kritisiert sie die europäische Flüchtlingspolitik auf dem Lüneburger Podium und bekommt dafür Applaus von den Studenten.
Noch ist die Rolle neu, und wenn sie etwas sagt, kommt es direkt – ohne die Fassade abgeschliffenen Politikersprechs. Die Nähe zu den Menschen ist ihr wichtig, sagt Luise Amtsberg. Im Zwei-Wochen-Rhythmus pendelt sie nach Berlin, wo die Tage von morgens früh bis in die Nacht mit Terminen vollgestopft sind. In Kiel wohnt sie weiter in einer Wohngemeinschaft. „Das erdet“, sagt sie. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass sie ihren Studienabschluss gemacht hat. Bis zur Wahl im September hat sie in einem Kieler Szenelokal gekellnert. Manchmal wundert sie sich noch über ihr neues Leben mit guter Bezahlung, Bahncard 100 und Bundestagsfahrdienst. „Man muss aufpassen, dass die Politik auch mal draußen bleibt“, sagt Luise Amtsberg. Für die Sitzungswochen hat sie sich einen freien Dienstagabend verordnet und, dass sie mit ihrem Freund („er arbeitet auch für die Grünen“) nicht über Parteipolitik sprechen will. Eigentlich.
Als sie nach dem Auftritt in Lüneburg nach Kiel zurückkommt, steht noch eine Kreismitgliederversammlung auf dem Terminplan. „Die wollen wissen, was ich in Berlin mache“, sagt Luise Amtsberg und lächelt. Dabei zieht sie ihre Nase kraus und sieht sehr jung aus. „Ich finde an Politik so toll, dass man Bereiche kennenlernt, mit denen man sonst nie etwas zu tun haben würde“, sagt sie. Dazu gehört auch, dass sie jetzt weiß, was ein Zimmermann macht.