Orkantief „Christian“ hat vor allem an der Küste gewütet. Polizei zählte landesweit 3600 Einsätze
Kiel. So schnell jagt eine tobende Nordsee Fiede Nissen keinen Schrecken ein. Doch so heftig, wie das Orkantief „Christian“ über Inseln und Halligen tobte, hat es der Postschiffer von Langeneß noch nicht erlebt. „Ich habe noch nie einen Strandkorb fliegen sehen“, sagt der 63-Jährige am Tag danach. Am Montagnachmittag waren es gleich drei. „Das ist schon beeindruckend“, meint Nissen.
Vor allem der Norden Schleswig-Holsteins hat am Montag die Wucht des Orkantiefs „Christian“ zu spüren bekommen, laut Deutschem Wetterdienst einer der stärksten Stürme, die in Deutschland je gemessen wurden. „In St. Peter-Ording wurde mit 172 Kilometern pro Stunde die höchste Windgeschwindigkeit gemessen“, sagte DWD-Meteorologe Lars Kirchhübel. Mindestens zwei Menschen kamen während des Orkantiefs zu Tode, zahlreiche wurden verletzt. Die Schule auf der Nordseeinsel Helgoland verlor das komplette Dach.
Am Dienstagmorgen offenbarten sich die Schäden – auf Sylt, Gröde, Hooge und sonst wo in der nordfriesischen Inselwelt. „Jeder auf der Hallig hat ein Loch im Dach“, berichtet Nissen.
Schon jetzt steht fest: „Christian“ hat im nördlichsten Bundesland Schäden in Millionenhöhe angerichtet. „Die Schadenssumme liegt schätzungsweise im zweistelligen Bereich“, sagte der Sprecher der Provinzial-Versicherung, Heiko Wischer, am Dienstag. „Die Telefone stehen nicht mehr still.“ Fast das ganze Bundesland sei betroffen.
Mehrere Tausend Bahnmitarbeiter waren am Dienstag im Einsatz, um die Schäden an Gleisen und Bahnanlagen zu beheben. Der größte Teil der Zugverbindungen in Richtung Norden blieb am Dienstag gesperrt. „Bei Owschlag liegen 20 Bäume an einer Stelle“, sagte Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis. Ähnlich sei das Bild an der Nordseeküste, „zwischen Wilster in Dithmarschen und Husum soll ein ganzer Wald auf den Schienen liegen“.
Frühestens am Mittwoch sollten Reisende wieder mit der Bahn von Hamburg in Richtung Kiel, Flensburg, Dänemark und an die Nordseeküste fahren können. Die Züge der Nord-Ostsee-Bahn sollten noch den gesamten Dienstag über zwischen Hamburg-Altona und Heide sowie Husum und Niebüll ausfallen. Auch für Mittwoch werden Einschränkungen erwartet.
Etwa 50.000 Haushalte in Schleswig-Holstein waren während des Orkans zeitweise ohne Strom. Am Dienstagnachmittag waren noch etwa 600 Haushalte im Kreis Nordfriesland betroffen, so ein Sprecher der Schleswig-Holstein Netz AG. Zur Höhe der Netzschäden konnten noch keine Angaben gemacht werden. Ungewöhnlich sei im Vergleich zu vorherigen Stürmen aber, dass es landesweit zu etwa 130 größeren Stromausfällen durch beschädigte Leitungen gekommen sei, sagte er.
In Flensburg riss der Wind große Blechteile vom Dach der Flensburger Universität, die auf dort parkende Autos krachten. Aber auch an der Ostseeküste richtete das Orkantief Schäden an, beispielsweise im Bootshafen in Kiel-Schilksee.
Ein Bauarbeiter war am Montag bei Aufräumarbeiten an einer Baustelle der A21 bei Wankendorf, zwischen Neumünster und Plön, lebensgefährlich verletzt worden. Er wurde von einem herumfliegenden Trümmerteil am Kopf getroffen und kam ins Krankenhaus. Allein in den Bereichen Flensburg und Nordfriesland zählte die Polizei mehr als 2000 wetterbedingte Einsätze, landesweit waren es mehr als 3600.
In Flensburg starb ein 85-jähriger Mann, als ein Baum auf ihn fiel. In Göhl nahe Oldenburg in Holstein kam eine 66-Jährige ums Leben, als sie von einer fast drei Meter hohen Mauer aus Kalksandstein verschüttet wurde. Auch in Lübeck traf ein umstürzender Baum eine Frau. Die 57-Jährige wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Ebenfalls schwer verletzt wurde eine 53-Jährige aus Elmshorn, als ein Baum auf ihren Wagen fiel.
Auf der Nordseeinsel Sylt waren am Dienstag sturmbedingt 180 Patienten aus der Inselklinik evakuiert worden. Sie hatten die Nacht über in einer Halle auf dem ehemaligen Militärflughafen verbracht.