Henstedt-Ulzburg ist so groß wie die Stadt Rendsburg – und dennoch Gemeinde. Wählergemeinschaft will das ändern. Rund 28.000 Menschen leben in Henstedt-Ulzburg, also etwa so viel wie in Rendsburg.
Henstedt-Ulzburg. „Henstedt-Ulzburg hat einen eher dörflichen Charakter“, sagt Volker Dornquast. Er spricht ein bisschen lauter, denn über ihm fährt gerade eine Boeing 747 die Landeklappen aus. Dornquasts Haus liegt in der Einflugschneise zum Hamburger Flughafen. Dorfcharakter und Einflugschneise: Passt das zusammen?
Über diese Frage lässt sich trefflich streiten, und über diese Frage wird in Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) auch trefflich gestritten. Noch bis zum 22. September, dem Tag der Bundestagswahl. Dann wird abgestimmt. „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Henstedt-Ulzburg eine Stadt wird und die Stadtrechte bei der Landesregierung Schleswig-Holstein beantragt werden?“, lautet die Formulierung auf dem Stimmzettel für den Bürgerentscheid.
Dem Besucher des Ortes stellt sich eher die Frage, warum Henstedt-Ulzburg immer noch Gemeinde ist. Rund 28.000 Menschen leben hier, also etwa so viel wie in der Stadt Rendsburg. Die Hamburger Stadtgrenze ist nur 15 Kilometer entfernt, auf der A7 ist sogar eine Abfahrt nach dem Ort benannt. Das mehrgeschossige Rathaus, 2008 hochgezogen, ist mit seinem runden und seinem spitzen Flügel moderne Architektur pur. Das schwarz-braune Mauerwerk, ein absoluter Fremdkörper in dieser Gegend, glitzert im Sonnenlicht. Dahinter gähnt eine riesige Baugrube. Hier soll demnächst ein Einkaufszentrum eröffnet werden. Dabei gibt es im Gewerbegebiet eigentlich schon alles: Media Markt, Toom, KiK, einen fußballfeldgroßen Real-Markt, Kentucky Fried Chicken und McDonald’s.
Dörflicher Charakter? Ja, findet Volker Dornquast. Sein Beweis: „Hier gibt es ganz wenig Geschosswohnungsbau.“ Und wenn doch, dann seien es „städtebauliche Sündenfälle“ gewesen. Dornquast, CDU-Mitglied, muss es wissen. 21 Jahre lang war er Bürgermeister der Gemeinde. 2009 wechselte er als Staatssekretär ins Kieler Innenministerium, seit 2012 ist er Abgeordneter im Landtag. Viele Reden hat er dort noch nicht gehalten. Stattdessen hat er zu Hause eine Bürgerinitiative gegründet. Auf der Internetseite „Wir-bleiben-Gemeinde.de“ werben seine Mitstreiter und er dafür, bloß nicht Stadt zu werden. „Schweinerei, was die mit uns vorhaben“: Das war Dornquasts erster Gedanke, als er von der Idee der Wählergemeinschaft BfB hörte, die Bürger entscheiden zu lassen.
„Herr Dornquast ist da etwas festgelegt“, hält Tile Abel dagegen, der Fraktionschef der BfB. „Henstedt-Ulzburg ist die größte Gemeinde in Schleswig-Holstein, das ist Dornquasts Baby, und deshalb soll das wohl so bleiben.“ Die Stadtwerdung sei „seit Jahren das große Sommerlochthema im Ort“. Insofern sei es gut, wenn das nun endlich mal von den Bürgern entschieden werde. „Allerdings haben wir nicht damit gerechnet, dass das jetzt solche Wellen schlägt“, sagt Abel.
In der Tat holt die Initiative in ihrer Argumentation recht weit aus. „Keine Stadt unserer Größenordnung hat entsprechende positive Entwicklungen wie wir vorzuweisen“, heißt es auf der Internetseite. Der Ex-Bürgermeister spricht stolz davon, in seiner Amtszeit 190 Betriebe angesiedelt zu haben. Als Stadt habe man dabei aber keinerlei Vorteile, findet er. „Das interessiert die Firmen gar nicht, ob man Stadt oder Gemeinde ist“, sagt der Jurist, dem alles Städtische ein Graus ist. „In Städten herrscht oft ein anderes Klima. Das ändert sich bei einer Umbenennung zwar nicht von heute auf morgen, aber langfristig schon. In der Gemeinde macht man den Gullydeckel auch mal selbst sauber, in der Stadt nicht.“
Hat sich das Klima in der Stadt Arnis langfristig geändert? Bernd Kugler, der die kleinste Stadt Deutschlands regiert, kann dazu nicht viel sagen. Außerdem hat er gerade wenig Zeit. Er muss mal wieder Angelscheine ausstellen, eine wichtige Aufgabe für den ehrenamtlichen Bürgermeister. Und dann ist der Arniser Sprung vom Flecken zur Stadt ja auch schon fast 80 Jahre her, 1934 war das. „Im Rahmen der Flurbereinigung“, sagt Kugler. Jetzt hat die Stadt an der Schlei 320 Einwohner und ist fast schuldenfrei. Das können nicht viele Städte von sich behaupten. Der letzte Kredit wurde für den Kauf einer Vakuumabsaugpumpe aufgenommen, die das Abwasser in Schwung halten soll. Eine eigene Verwaltung gibt es in Arnis nicht. Auch hat die Stadt weder Schule noch Kindergarten, weder Toom noch Real, ja nicht einmal einen Supermarkt oder einen Gemüsehändler.
Unter diesen Umständen möchte man als Henstedt-Ulzburger vielleicht doch lieber Gemeinde bleiben, könnte man jetzt witzeln. Nachfrage beim Ex-Bürgermeister, der gebürtiger Greifswalder ist und in Dortmund, Wilhelmshaven und Flensburg gelebt hat: „Hat dieser Namensstreit nicht auch eine sehr komische Seite?“ Dornquast: „Nö, würde ich nicht sagen.“ Das nächste Flugzeug rauscht heran.
Tile Abel sieht die Sache etwas gelassener. „Keiner macht was falsch, wenn er dafür stimmt, Gemeinde zu bleiben“, findet er. Der Stadtfan ist Landwirt. Er hat eine vierstellige Telefonnummer und wohnt „ein bisschen außerhalb, in Einzellage“. Zum Abschluss des Telefongesprächs legt er einen Satz hin, den Dornquast sofort auf seine Internetseite stellen könnte – als Beweis für den dörflichen Charakter des Ortes. „Wenn Sie mal wieder durch Henstedt-Ulzburg fahren“, sagt Abel: „Einen Kaffee haben wir immer warm!“