Damals lagen große Teile der Stadt in Schutt und Asche. Bei der „Operation Gomorrha“ starben 35.000 Menschen. Lore Bünger, damals 20, überlebte.

Hamburg. Es ist Sonnabend, der 24. Juli 1943, als sich gegen 23 Uhr der Drahtfunk einschaltet: „Große feindliche Verbände im Anflug auf die Deutsche Bucht.“ Lore Bünger, 20, springt aus dem Bett, ist in fünf Minuten angezogen und steht mit Koffer und Tasche bereit, als die Sirenen losheulen. „Ich wusste, jetzt wird eine norddeutsche Großstadt bombardiert“, erinnert sich die 90-Jährige. Zusammen mit ihrer Großmutter läuft sie zum nahe gelegenen Hochbunker in Hamburg-Altona. Hier hatten sie schon oft Schutz gesucht, nach ein bis zwei Stunden gab es meist Entwarnung und einige Häuser waren zerstört. „Aber in dieser Nacht gab es keine Entwarnung. Als wir nach vier Stunden den Bunker verlassen durften, war der Himmel über Hamburg blutrot, Rußteilchen flogen durch die Luft.“

Was Lore Bünger als junges Mädchen erlebte, war der Anfang des Hamburger Feuersturms. Unter dem Codenamen „Operation Gomorrha“ begannen Ende Juli 1943 die massivsten Bombenangriffe der britischen und amerikanischen Luftwaffe und legten große Teile Hamburgs in Schutt und Asche. Der Oberbefehlshaber der britischen Luftflotte, Marschall Arthur Harris, hatte befohlen, die Hansestadt als Vergeltung für die deutschen Luftangriffe auf britische Städte zu zerstören. „Die Angriffe auf Hamburg sollten die Moral der Stadtbevölkerung und die Rüstungsindustrie treffen“, sagt der Historiker Malte Thießen.

Es war eine laue Sommernacht, als die Bombardements losgingen. Die Hamburger hatten tagsüber noch das herrliche Sommerwetter am Elbstrand und in den Ausflugslokalen genossen. „Die Menschen ahnten nichts Böses. Im Gegenteil. Man hatte gedacht, vielleicht werden wir verschont. Man war nicht so ängstlich, dass wirklich etwas Gravierendes passiert“, erinnert sich Lore Bünger, die nach der Handelsschule als Zivilangestellte beim Luftgau-Kommando in Hamburg-Rissen arbeitete. Nur ihr Onkel, der heimlich die Nachrichten der britischen BBC gehört hatte, ahnte Fürchterliches: „Nachdem die Deutschen Sheffield und Manchester bombardiert haben, können wir uns auf etwas gefasst machen“, prophezeite er.

Die britischen Bomber kamen plötzlich und unerwartet. „Es gab eine 2-Phasen-Bombenstrategie: Die ersten Flieger warfen Sprengbomben, um die Dächer abzudecken, dann kamen die Brandbomben, um die Gebäude zu entzünden“, erklärt Thießen. Die Brände verbanden sich zu großen Feuerherden, saugten den ganzen Sauerstoff ein, so dass eine Kaminwirkung entstand. „Die Feuersturm-Wirkung konnte man so perfide nicht planen, das war eine Verkettung der Wetterumstände. Es war tagelang extrem heiß in Hamburg, der Baumbestand war sehr trocken und die Sogwirkung des Feuersturms konnte sich so besser entfalten.“

Die Hamburgerin Gerda Kappler war neun Monate alt, als beim Hamburger Feuersturm giftige Gase und Hitze von Brandbomben den Luftschutzkeller trafen. Sie überlebte nur, weil ihr toter Vater auf ihr lag.

Insgesamt wurden rund 125.000 Menschen verletzt, rund 35.000 Menschen starben – das sind 80 Prozent der Opfer des Krieges in Hamburg und mehr als bei den verheerenden Bombenangriffen auf Dresden im Frühjahr 1945. Die meisten Opfer waren Frauen und Kinder. 50 Prozent des Wohnraums wurden zerstört. Die Aktion erhielt einen Biblischen Namen aus dem Buch Genesis, in dem es heißt, Gott ließ auf Sodom und Gomorrha Schwefel und Feuer regnen, um die Menschen für ihre Sünden zu strafen. „Tagsüber flogen die Amerikaner, nachts die Briten“, erklärt Historikerin Rebekka Geitner. „Die Deutschen sollten gar nicht zur Ruhe kommen.“

Lore Bünger überlebte den Feuersturm, anderen war das nicht vergönnt. „Einen meiner Kollegen hatte es am schlimmsten getroffen: Er hat seine ganze Familie verloren“, erzählt Bünger, die heute in einem kleinen Haus in Hamburg-Sülldorf lebt. Ironie des Schicksals: Der Kollege hatte an dem Tag dienstfrei und war zum Zeitpunkt des Angriffs am Hauptbahnhof, um Fahrkarten für seine Frau und seine Kinder zu kaufen. „Sie wollten am nächsten Tag nach Bayern reisen. Er hat sie nie wiedergesehen.“

Anders als viele Überlebende konnten Lore Bünger und ihr Mann mit ihren Kindern über das Erlebte reden. „Ich habe in meiner Kindheit so viel Kraft mitbekommen, dass ich das gut verkraftet habe“, erinnert sich die zweifache Mutter. Noch heute engagiert sie sich bei der „Zeitzeugenbörse“, geht in Schulen und erzählt von ihren Erlebnissen. Ihr Vorbild ist der Schriftsteller Ralph Giordano, der ebenfalls den Hamburger Feuersturm überlebte. Sein Motto: „Aufklären bis zum Umfallen.“