Die einstmals strukturschwachen Regionen Dithmarschen und Nordfriesland profitieren am stärksten von der Energiewende. Die Summen sind beträchtlich. Ungewöhnlich ist, wie Windkraft in Schleswig-Holstein wächst.
Kiel/Hamburg. Karl-Heinz Hansen kann jetzt nicht reden. Der 66- Jährige hat Besuch aus Brasilien. Das ist nicht unbedingt zu erwarten, wenn man einen Bauern anruft, dessen Hof hinterm Nordseedeich bei Bredstedt steht. Aber bei Hansen ist das anders. Der wendige Nordfriese hat auf die Energiewende gesetzt, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. „Jetzt ist er prominent“, sagt seine Frau. Vor 30 Jahren hat Karl-Heinz Hansen die erste Windanlage aufgestellt, die Strom ins schleswig- holsteinische Netz einspeiste. Seitdem verdient er Geld. Hansen ist der erste Gewinner der Energiewende – dem im Norden noch viele weitere folgen werden. „Der Boom ist noch längst nicht zu Ende“, sagt Walter Eggersglüß, Windkraftexperte der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein.
1990, sieben Jahre nach Hansens Pionierwerk, gab es im nördlichsten Bundesland gerade mal 237 Windenergieanlagen, die 35 Megawatt Strom erzeugten. Fünf Jahre später war es schon mehr als das Zehnfache – 426 Megawatt. Im Jahr 2000 wurden 1125 Megawatt erzeugt. Bis 2012 konnte dieser Wert verdreifacht werden – auf dann 3403 Megawatt. Zehn Prozent der in Deutschland hergestellten Windenergie kommt mittlerweile aus Schleswig- Holstein. Bis 2020, so das Ziel der Landesregierung, soll in Schleswig-Holstein drei- bis viermal mehr Strom aus erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Biomasse) produziert als verbraucht werden. Die Windkraft hat dabei schon jetzt deutlich die Nase vorn. Fotovoltaikanlagen in Schleswig-Holstein hatten 2011 eine Leistungsfähigkeit von nur knapp 450 Megawatt, Biogas kam auf rund 400 Megawatt.
Es ist also hauptsächlich der Wind, der das Geld ins Land bläst. Die Summen sind beträchtlich. 1,4 Milliarden Euro aus der Stromvergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) flossen 2012 nach Schleswig-Holstein. Wann man das abzieht, was die Endverbraucher im nördlichsten Bundesland an EEG-Umlage gezahlt haben, bleibt ein positiver Saldo von rund 413 Millionen Euro. Die Tendenz ist steigend.
Zwei Kreise profitieren besonders von dem Windenergieboom: Dithmarschen und Nordfriesland. Ausgerechnet in den bislang strukturschwächsten Regionen des Landes wächst mit der Stromgewinnung ein Wirtschaftszweig heran, der das Zeug hat, die finanzielle Situation vieler Bürger und vieler Städte ins Positive zu wenden. „15 bis 20 Prozent des Bruttosozialprodukts in Nordfriesland werden heute von der Windbranche erwirtschaftet“, sagt Matthias Hüppauf von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Nordfriesland. 2011 waren in den beiden Kreisen Windanlagen mit einer Leistung von 1740 Megawatt in Betrieb. Der Lohn: rund 300 Millionen Euro an EEG-Vergütungen. Zum Vergleich: Hamburg bekam für ihre 60 Windanlagen mit 52 Megawatt Leistung etwas mehr als sieben Millionen Euro EEG-Vergütung.
Der Windkraftboom lässt auch die Kassen der Kommunen klingeln. Laut einer Studie von Windcomm, der Interessenvertretung der schleswig-holsteinischen Windbranche, könnten die Einnahmen aus der Gewerbesteuer von 40,42 Millionen Euro im vergangenen Jahr auf einen Wert zwischen 75 bis 133 Millionen Euro im Jahr 2021 wachsen – je nachdem, wie rasant der Ausbau verläuft. Hinzu kommen wachsende Einnahmen aus der Einkommensteuer, denn die Zahl der Beschäftigten wird steigen. Derzeit sind es rund 6800. Kein Wunder, dass der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) sagt: „Die Nutzung der Onshore-Windenergie bietet den Kommunen an unserer Westküste erhebliche Chancen. Einerseits durch die Gewerbesteuern, aber auch durch die Wertschöpfung vor Ort. In den letzten Jahren sind viele Unternehmen in den windreichen Regionen entstanden.“
Dass eine Branche wächst, ist in der Wirtschaft zum Glück nicht ungewöhnlich. Absolut ungewöhnlich ist aber, wie Windkraft in Schleswig-Holstein wächst: durch Bürger- und Bauernhand. „Besonders in Nordfriesland sind das eigentlich alles Nachbarn, die da investieren und einen Bürgerwindpark bauen“, sagt Walter Eggersglüß von der Landwirtschaftskammer. „Und es gibt kaum eine Anlage, an der nicht ein Bauer beteiligt ist.“ Die Kommunen würden das unterstützen, große Investoren hätten kaum eine Chance. „Die Kommunen sehen, dass die Projekte besser laufen, wenn das die Bürger machen.“ Und Matthias Hüppauf ergänzt: „Auf diese Weise schaffen sich viele Menschen ein sehr solides zweites Einkommensstandbein.“
So etwas interessiert auch Brasilianer. Deswegen waren sie bei Karl-Heinz Hansen. Nun sind sie weg. Hansen hat Zeit. Und er hat Wind. Der verfängt sich seit mittlerweile 30 Jahren in seinem Rotor. „Die Anlage ist ein Glücksgriff“, sagt Hansen. „Die ist so gut!“ 180.000 Mark habe sie damals gekostet, fast nichts sei seitdem kaputtgegangen. Weil das Holz immer nass und sein Bauernhaus nicht richtig warm zu kriegen war, hatte er nach einer Alternative gesucht. Und war auf die Windanlage gekommen. Heute heizt er immer noch mit dem Windstrom. „Das ist ja alles umsonst“, sagt er begeistert. Was er nicht braucht, verkauft er. „Wir leben davon“, sagt er.