Die letzten Bewohner haben die Altstadt verlassen. Auch flussaufwärts in Bleckede und Hitzacker steigt das Wasser
Lauenburg/Bleckede . Die malerischen Fachwerkhäuser in der Altstadt Lauenburgs sind menschenleer. Auf der historischen Elbstraße dröhnen noch ununterbrochen Pumpen, Helfer der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerkes kämpfen an diesem Montagmittag gegen das immer höher steigende Wasser des Flusses. Die Neun-Meter-Marke ist erstmals geknackt - für Donnerstag wird ein Rekordpegelstand von 10,15 Metern erwartet. Die meisten Keller sind längst vollgelaufen, nur Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig darf noch in die Altstadt, um den vielen Helfern zu danken und ihnen Mut zu machen. Doch weil das Wasser durch die Kanalisation drückt, können auch die Feuerwehrmänner mit ihren Pumpen nichts mehr ausrichten. Nach den Bewohnern verlassen auch sie das Areal.
Das wollen Gerda und Günther Pöthke nicht. Zwar steht um ihr Haus herum das Wasser. Doch bleiben will das Ehepaar trotzdem, auch wenn die Elbe vor ihrer Haustür ihren erwarteten Höchststand noch gar nicht erreicht hat. Die Senioren wohnen an der Hafenstraße in Bleckede, einer kleinen Stadt zwischen Lauenburg und Hitzacker. Und sie wohnen vor dem Deich.
Dem Deich, der noch gar nicht so lange steht wie ihr Haus. "Seit 1968 leben wir hier", erzählt Gerda Pöthke, 84. "Doch die schlimmen Hochwasser kamen erst, seit es die neuen Deiche gibt. 2002 das erste, dann 2006, dann 2011. Und so hoch wie jetzt war das Wasser noch nie."
Die Hortensien sind verschwunden, die Blumenkübel unter der Wasseroberfläche nur noch zu erahnen. "Das ist schade, aber nicht so schlimm", sagt die Seniorin tapfer. Schlimmer ist, dass alle drei Garagen und der Schuppen vollgelaufen sind, "es wird vieles kaputt sein. Wir haben die Sachen zwar hochgestellt, aber nicht hoch genug."
Noch hoffen sie und ihr Mann, dass wenigsten ihr Haus von innen trocken bleibt. Bislang haben sie jedes Hochwasser überstanden, ohne dass die Elbe bei ihnen im Wohnzimmer stand. Vor ihrem Haus haben Freiwillige Sandsäcke aufgehäuft. Angst haben die Rentner, dass ihre Nachtspeicheröfen nass werden - denn das wird teuer, und eine Versicherung gegen Hochwasserschäden gibt es in diesem Bereich nicht.
2002, da hatten die Pöthkes eigentlich genug vom Leben vor dem Deich, direkt am Fluss. Dann sind sie doch geblieben, und heute bereuen sie es. "Aber niemand will das Haus kaufen, nicht einmal die Kinder wollen hier einziehen", sagen die alten Herrschaften. Und so wollen sie einfach bleiben und warten - und sich um ihr Haus kümmern.
Nur ein paar Schritte weiter, hinter dem neuen und vor dem historischen, alten Deich, der unter Denkmalschutz steht, haben Klaus Gritz und seine Frau gerade das gesamte Gemüse geerntet. "Das war schon ganz matschig, wir frieren das jetzt ein", sagt er. Dass die Elbe über den Deich kommt ist nicht die Sorge der Elbanwohner. Es ist das Sickerwasser. "Bei uns drückt das Grundwasser nach oben, der Keller steht schon voll." Den alten VW Käfer hat das Ehepaar daher in seinen Garten gerollt, denn dort verläuft ein Wall: der alte Deich. "Als es den neuen noch nicht gab, sind wir bei Hochwasser mit den Kindern im Garten geschwommen und haben die Ostereier in den Baumwipfeln versteckt, wo sie sie mit Schlauchbooten gesucht haben", erinnert sich der Vater zweier Söhne. "Das war fast romantisch."
Ein paar Häuser weiter sieht sein Nachbar regelmäßig nach dem Neubau seines Sohnes. Er selbst hat dafür keine Zeit, schleppt derzeit 20 Stunden am Tag Sandsäcke. Sein Keller ist wasserdicht gebaut, um das Haus liegt eine Drainage. Trotzdem steigt das Wasser stündlich. "Ab Kellerboden haben wir 2,50 Meter Platz, bis es ins Haus läuft", sagt der 71-Jährige, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Gestern stand es 1,10 Meter hoch, heute sind es schon 1,65 Meter". 85 Zentimeter Hoffnung bleiben ihm also noch.
Die Kreisverwaltung hat Flugblätter an die Bewohner der Stadt verteilt, um sie auf eine mögliche Evakuierung vorzubereiten. Mitarbeiter des hiesigen Energieversorgers kümmern sich um provisorische Einspeisungen, da die Hausanschlüsse meist im Keller liegen - und im Notfall abgeschaltet werden müssen. Helfer des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) haben Feldbetten in einer Schulturnhalle aufgebaut, falls die Bleckeder tatsächlich ihre Häuser verlassen müssen. Für Gerda und Günther Pöthke vorne in der Hafenstraße ist das keine Option. "Wir bleiben hier."
Ob Boizenburg, Lauenburg oder Hitzacker, freiwillige Helfer gibt es genug: 70.000 kämpfen bundesweit gegen die Flut. Die Hilfsbereitschaft hat nicht gelitten, auch wenn es bereits das vierte "Jahrhunderthochwasser" binnen elf Jahren ist - dafür klappt alles wie am Schnürchen.