Im Landkreis Harburg droht ein dramatischer Mangel an Allgemeinmedizinern. Das Projekt StadtLandPraxis soll in dieser Situation helfen.
Winsen/Buchholz . Zwischen Meckelfeld und Undeloh sowie zwischen Marschacht und Hollenstedt droht ein eklatanter Mangel an Hausärzten. "Der Landkreis Harburg ist ein Problembereich", sagt Dr. Uwe Köster, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) in Hannover. "Es wird zunehmend schwieriger, Hausärzte für das nördliche Niedersachsen zu gewinnen." Oliver Christoffers von der KVN-Bezirksstelle Lüneburg bestätigt: "Der Landkreis Harburg ist eines unserer Sorgenkinder."
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Der Versorgungsgrad bei den Hausärzten beträgt im Landkreis Harburg schon jetzt nur 90 Prozent. Die Kassenärztliche Vereinigung zählt derzeit 126 Hausarztsitze. Zum Vergleich: Das Soll liegt bei 141 Sitzen. Betrachtet man die einzelnen Regionen im Landkreis Harburg, so ergibt sich ein differenziertes Bild: In Hollenstedt liegt die hausärztliche Versorgungsquote bei 64,3 Prozent - bei weniger als 75 Prozent spricht die Kassenärztliche Vereinigung von einer Unterversorgung. Auch im einkommensstarken Seevetal liegt die Quote nur bei 69,3 Prozent. In Buchholz liegt die Quote bei 81,3 Prozent, in Tostedt bei 83 Prozent und in Neu Wulmstorf bei 84,5 Prozent.
Allerdings gibt es auch Samtgemeinden mit einer leichten hausärztlichen Überversorgung: In Hanstedt liegt die Quote bei 125,2 Prozent, in der Elbmarsch bei 122,2 Prozent und in Jesteburg bei 114,9 Prozent. Der Kreisfachbereichsleiter Soziales, Reiner Kaminski, hat ausgerechnet, dass sich derzeit 26 neue Hausärzte im Landkreis Harburg niederlassen könnten. Und er hat weitere Zahlen von der Kassenärztlichen Vereinigung bekommen: Falls alle Hausärzte bis zum 68. Lebensjahr arbeiteten, würden bis zum Jahr 2020 insgesamt 41 Mediziner ihre Praxis aufgeben. Dann läge der Versorgungsgrad bei 55 Prozent, falls sich gar kein Nachwuchs fände.
Noch düsterer sieht das Szenario aus, sollten die Hausärzte mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen: Dann gäbe es im Jahr 2020 nur noch 41 Hausärzte, und der Versorgungsgrad läge bei kümmerlichen 29 Prozent. Diese Entwicklung will der Landkreis Harburg auf gar keinen Fall hinnehmen. Er hat eine Initiative auf den Weg gebracht, die Medizinstudenten, Assistenzärzte und Hausärzte dazu animieren soll, sich so schnell wie möglich im Landkreis niederzulassen. Das Projekt heißt StadtLandPraxis. Es macht angehende Mediziner und Ärzte im Internet und auf Plakaten auf den Landkreis Harburg aufmerksam. Dessen Vorteile beschreibt Reiner Kaminski: "Wir sind ganz nah dran an der Millionenmetropole Hamburg, haben eine hohe und günstigere Wohn- und Lebensqualität, gute Anbindungen, gute Schulen und Kindergärten sowie hervorragende Freizeitmöglichkeiten."
Schon Assistenzärzte, die den Facharzt für Allgemeinmedizin binnen fünf Jahren machen wollen, hätten im Landkreis Harburg beste Chancen. Sie können vor den Toren Hamburgs eine Verbundweiterbildung absolvieren: 36 Monate stationär an den Krankenhäusern Winsen und Buchholz, beides Lehrkrankenhäuser des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), und 24 Monate ambulant in einer Hausarztpraxis im Landkreis. Reiner Kaminski persönlich stellt für Interessenten den Kontakt zu den Ärztlichen Direktoren an den kreiseigenen Krankenhäusern her. Er verwaltet zudem ein Netzwerk von 70 Hausärzten im Landkreis Harburg. "Wenn ich eine E-Mail schreibe, dass ich eine Stelle für einen Assistenzarzt suche, dann habe ich binnen einer Woche zehn Antworten", sagt der Leiter Soziales. Das Projekt StadtLandPraxis wirbt auf Stellenanzeigenseiten, im "Deutschen Ärzteblatt", auf Plakaten in deutschen Universitätsstädten, in Winsen und Buchholz, bei Edeka auf Monitoren, auf Postkarten in Bars und Restaurants sowie auf dem Karrierekongress des UKE, der am 24. Mai stattfindet.
"Wir haben schon 73 Kontakte mit Schülern, Studenten, Assistenzärzten und Fachärzten für Allgemeinmedizin und Inneres hergestellt", bilanziert Reiner Kaminski. Das Ergebnis: Drei Frauen arbeiten mittlerweile als angestellte Hausärztinnen im Landkreis, drei Assistenzärzte arbeiten an den Kliniken in Winsen und Buchholz, und vier Interessenten stehen auf der Warteliste. Zwei Ärzte wollen sich voraussichtlich im Mai und Juli niederlassen, vier suchen eine Niederlassung in einer Praxis und zwei eine Anstellung. "Es handelt sich stets um sehr wohlüberlegte Entscheidungsprozesse, die sehr gut abgewogen werden", sagt Reiner Kaminski.
Dr. Uwe Köster von der KVN bilanziert, dass die meisten jungen Ärzte "in große urbane Zentren gehen wollen". 70 Prozent der Medizinstudenten sind Frauen. Als junge Ärztinnen sind sie meist mit Akademikern liiert. "Wie will die junge Frau ihrem Partner, der Anwalt in der Großstadt ist, da schmackhaft machen: 'Komm, ich werde Landärztin?'", fragt Dr. Uwe Köster. "Dann kracht es erst mal leicht in einer Beziehung."
Seine Prognose: "Bis 2020 werden weniger Hausärzte im Landkreis Harburg praktizieren als heute." Aber vielleicht orientieren sich doch noch mehr junge Mediziner an Henning Plote, Hausarzt in Winsen. Der sagt: "Als ich vor 30 Jahren immer wieder auf der elend langen Bundesstraße 4 - die Autobahn 39 gab es noch nicht - durch Winsen musste, konnte ich mir nicht vorstellen, hier zu wohnen oder zu arbeiten. Aber ich landete doch in dieser Stadt, die nicht mein Wunschkandidat war, und ließ mich nieder. Heute fühle ich mich wohl in Winsen, das gerade für eine Allgemeinpraxis nicht zu klein und nicht zu groß ist und für mich als Alt-Hamburger mit 35 Minuten nur einen Katzensprung von der Metropole entfernt liegt."
Interessierte Ärzte bekommen Kontakt zu Reiner Kaminski unter der Telefonnummer 04171/69 34 23 oder per E-Mail an r.kaminski@lkharburg.de.
Informationen zu dem jüngst gestarteten Projekt StadtLandPraxis gibt es im Internet unter www.stadtlandpraxis.de