Die Pläne von Rot-Grün in Niedersachsen bleiben in weiten Teilen unkonkret. Der Tenor der Gespräche: alles Verhandlungssache.
Hannover. SPD und Grüne in Niedersachsen haben sich viel vorgenommen für die neue Legislaturperiode. Der Mittwoch veröffentlichte Koalitionsvertrag schwelgt regelrecht in Superlativen - sei es nun über Chancen in der Bildungs-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik oder beim Tierschutz. Aber das 96 Seiten starke Papier, das Parteitage am Wochenende absegnen sollen, verzichtet in weiten Teilen auf konkrete Zeitpläne für Reformen, ist stattdessen gespickt mit Hinweisen auf Finanzierungsprobleme und auf Zuständigkeiten des Bundes für neue Steuergesetze, ohne die kaum etwas geht.
So gesehen ist das Ende des letzten Kapitels typisch, in dem die Koalitionäre noch einmal betonen, wie gänzlich ungeeignet der Gorlebener Salzstock ist als Endlager für hochradioaktiven Müll. Aber es fehlt eben genau jene Festlegung, mit der SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil im Wahlkampf sogar die Grünen noch spielend überholt hatte - es gibt keinen kategorischen Ausschluss von Gorleben für die geplante bundesweite und ergebnisoffene Suche nach dem richtigen Endlager. Tenor: alles Verhandlungssache.
Die Studiengebühren werden wie versprochen abgeschafft, aber im Koalitionsvertrag steht lediglich, dass das entsprechende Gesetz "unverzüglich" verabschiedet werden soll. Hier gibt es immerhin die Festlegung, dass die den Hochschulen dann fehlenden Mittel vollständig aus dem Landeshaushalt ersetzt werden. Der Koalitionsvertrag enthält dagegen keinerlei Festlegung über die Schaffung zusätzlicher Studienplätze. In Oppositionszeiten haben SPD und Grüne immer wieder kritisiert, dass Niedersachsen zu wenige Studienplätze anbietet.
In der Verkehrspolitik gibt es erwartungsgemäß das Versprechen eines Vorrangs der Schiene zur Bewältigung weiter wachsender Verkehre. Bei der Küstenautobahn 20 und der A 39 Lüneburg-Wolfsburg werden wie angekündigt die Planungsmittel gekürzt, alternativ auch der Ausbau von Bundesstraßen geprüft. Anders aber als im Koalitionsvertrag im benachbarten Schleswig-Holstein gibt es keine Festlegungen, sondern nur die allgemeinen Hinweise auf den unterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan - und dass letztlich der Bund entscheidet, ob und wann Mittel für den Bau fließen. Immerhin: Weil keiner weiß, ob und wann die Küstenautobahn inklusive Elbquerung kommt, will Rot-Grün jetzt gemeinsam mit den Parteifreunden in der schleswig-holsteinischen Landesregierung eine Machbarkeitsstudie auf den Weg bringen für eine "leistungsfähige Fährverbindung zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel". Und für mehr Sicherheit auf Autobahnen sollen intensivere Geschwindigkeitskontrollen sorgen, mehr Tempolimits an Unfallschwerpunkten und ein Überholverbot für Lastwagen auf zweispurigen Streckenabschnitten. Und aus dem Versuchsprojekt mit Gigalinern wird Niedersachsen nun doch nicht aussteigen, aber auch keine neuen Strecken genehmigen.
Wo sie kann, will die Koalition die Förderung der Landwirtschaft auf die rund 40.000 bäuerlichen Betriebe konzentrieren, aber das Gros der Subventionen kommt von der Europäischen Union. Und beim Tierschutz knüpft man jetzt sogar ausdrücklich an die Vorarbeit des scheidenden CDU-Landwirtschaftsministers Gert Lindemann an. Dessen Tierschutzplan will man "verbessern, fortsetzen und mit ambitionierten Zeitplänen unterlegen". Der designierte Landwirtschaftsminister Christian Meyer, von der Agrarlobby "Bauernschreck" genannt, wird gerne umsetzen, was der Koalitionsvertrag an kleinen Stichen parat hat für Massentierhalter und industriell betriebene Landwirtschaft: mehr und striktere Kontrollen beim Tierschutz, Verstärkungen für die Justiz bei der Verfolgung von Delikten, Überwachung der Gülle-Verbringung, Halbierung des Antibiotika-Einsatzes binnen fünf Jahren.
Nach Hamburger Vorbild will die neue Koalition ein Transparenzgesetz auf den Weg bringen, und unabhängig davon, dass der neue Tiefwasserhafen Wilhelmshaven schwächelt, will man bereits die nächste Ausbaustufe planen und für dieses Projekt neben Bremen auch Hamburg ins Boot holen.
Mehr Inklusion, also die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinderten Kindern, wird versprochen, auch ein bedarfsgerechter Ausbau der Kitas für die Kinder unter drei Jahren. Aber bei der Frage, ob denn nun entsprechend dem SPD-Wunsch die Gymnasien beim Turbo-Abi bleiben oder entsprechend der Grünen-Forderung wie die Gesamtschulen zum neunjährigen Abitur zurückkehren, verspricht Rot-Grün jetzt lediglich einen "ergebnisoffenen Dialog" mit allen Beteiligten. Hier wie bei vielen anderen Punkten hat das Offenhalten der konkreten Lösungen den Vorteil, dass man ohne Gesichtsverlust Kompromisse innerhalb der Koalition machen kann, wenn andernfalls die Einstimmenmehrheit gefährdet wäre.
Wo man sich dagegen einig weiß, werden auch Reformen fest vereinbart: Die Lehrerausbildung wird umgekrempelt: weg vom Lehrer nach Schulformen hin zur Ausbildung nach Schulstufen. Am Ende des vierten Schuljahres soll es künftig auch keine Schullaufbahn-Empfehlung für die Kinder mehr geben.
Alle Reformpläne, die Geld kosten, basieren auf der Hoffnung, dass nach der Bundestagswahl im Herbst eine neue rot-grüne Mehrheit den Spitzensteuersatz und die Erbschaftssteuer erhöht, die Vermögenssteuer wieder einführt. Der Bund der Steuerzahler nannte das Mittwoch eine Steuererhöhungsorgie, die auch Eigenheimbesitzer, Mieter, Familien und Arbeitnehmer treffen würde. Im kleinen Rahmen der Möglichkeiten des Landes bittet Rot-Grün selbst zur Kasse: Die Grunderwerbssteuer steigt auf fünf Prozent, die Wasserentnahmegebühr wird erhöht. Gezahlt werden soll künftig auch für den Abbau von Torf, Kies und Sand - immer vorausgesetzt, der Landtag wählt mit der Einstimmenmehrheit von Rot-Grün am kommenden Dienstag Stephan Weil zum Ministerpräsidenten.