Beide Verfahren beruhen auf Aussagen des Kronzeugen Steffen R. Laut Anklagebehörde werden weitere Prozesse folgen.

Kiel. Gleich in zwei Fällen beschäftigen sich Kieler Gerichte am Mittwoch mit Rockerkriminalität. Die Verfahren fußen auf den Aussagen eines Mannes: Steffen R., zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilter Ex-Rocker und Kronzeuge. Er hatte mit seinen Aussagen im Mai eine groß angelegte Razzia gegen die Rockerbande Hells Angels im Norden ausgelöst. Fast 90 Objekte vor allem im Kieler Raum, aber auch in Hannover und Hamburg wurden seinerzeit durchsucht. Am Wahrheitsgehalt der Angaben des Aussteigers gibt es jedoch Zweifel.

Bereits 2003 soll das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt alle anderen Länder vor einer Zusammenarbeit mit Steffen R., Spitzname „Kugelblitz“, gewarnt haben. Eine Sprecherin des Kieler Landeskriminalamtes wollte dazu auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben und verwies auf die Staatsanwaltschaft. „Für uns ist er ein Zeuge“, sagte Oberstaatsanwältin Birgit Heß knapp.

R. ist Zeuge in dem Verfahren gegen den 55 Jahre alten, ehemaligen Vizepräsidenten des seit Januar verbotenen Vereins „Hells Angels MC Charter Kiel“. Der Mann muss sich wegen eines besonders schweren Falls der sexuellen Nötigung vor dem Landgericht Kiel verantworten. Laut Anklage soll er eine damals 20-Jährige mit Wissen des Kronzeugen R. in drei Fällen zu sexuellen Handlungen genötigt haben. Die Frau arbeitete demnach in der Nähe von Kiel und in einem Nachtklub in Flensburg für Steffen R. als Prostituierte.

Kronzeuge war Präsident eines Helferclubs

Zum Prozessauftakt am Mittwoch soll lediglich die Anklage verlesen werden. Acht weitere Verhandlungstage sind bereits anberaumt. Je nach Verlauf wird auch Steffen R. aussagen. Dies werde möglicherweise in einer Art Videobefragung geschehen, wie Heß sagte. R. ist in einem Zeugenschutzprogramm und sitzt an einem unbekannten Ort seine Strafe ab. Das Landgericht Kiel hatte ihn Mitte Juni unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und schweren Menschenhandels zu vier Jahren und vier Monaten verurteilt.

R. war Präsident der mittlerweile aufgelösten Kieler „Legion 81“, einem Unterstützerclub der Hells Angels. Ebenfalls am Mittwoch stehen gleich zwei Mitglieder dieser früheren Hilfstruppe wegen schwerer Körperverletzung vor dem Schöffengericht. Der 33-Jährige und ein zwei Jahre jüngerer Mitangeklagter sollen im Januar 2010 das Haus eines Mannes in Preetz (Kreis Plön) aufgesucht haben, der den rivalisierenden Bandidos nahe gestanden haben.

Vor Ort soll einer der Männer mit einer Pistole zunächst auf den Mann gezielt, dann aber auf ein Garagentor geschossen haben. Die Kugel soll den Vater des als Zeuge auftretenden Mannes nur um 50 Zentimeter verfehlt haben. Auch in dem Prozess soll Steffen R. als Zeuge gehört werden.

Für November sind weitere Verfahren vor Kieler Gerichten anberaumt, die in Zusammenhang mit den Aussagen von R. stehen. Darin geht es unter anderem um die Rückerpressung von Schmerzensgeld für Messerstiche vor einem Kieler Fitnesscenter. Nach der Razzia gegen die Hells Angels im Mai war von insgesamt 194 Ermittlungsverfahren der LKA-Sonderkommission „Rocker“ gegen 69 Beschuldigte wegen Waffenhandels, Korruption, Erpressung, Menschenhandels und Körperverletzung die Rede.

Nach einem Hinweis von Steffen R. suchten die Ermittler der Sonderkommission „Rocker“ im Sommer zudem knapp sieben Wochen in Altenholz bei Kiel nach einer dort möglicherweise einbetonierten Leiche – letztlich erfolglos. Dabei sollte es sich um den seit mehr als zwei Jahren vermissten Tekin B. handeln. Bei ihrer akribischen Suche ließen die Ermittler eine komplette Lagerhalle abtragen. Spuren fanden sie letztlich nicht. Der Mann soll wegen Drogengeschäften mit der Rockerbande aneinandergeraten geraten sein. Laut Oberstaatsanwältin Heß läuft das Ermittlungsverfahren in der Sache Tekin B. weiter.