Vor 25 Jahren wurde im Kaiser-Wilhelm-Koog erstmals sauberer Strom erzeugt
Kaiser-Wilhelm-Koog. Das Marschland im Kaiser-Wilhelm-Koog ist flach. Der Wind weht an der Elbmündung dafür umso kräftiger. Die kleine Gemeinde mit 360 Einwohnern gilt als eine der windreichsten Gegenden Deutschlands. "Hier an der Nordsee sind wir eigentlich so gut wie nie ganz ohne Wind", sagt Bürgermeisterin Anken von der Geest-Borwieck.
Das rhythmische Kreisen des riesigen Rotors ist nicht zu überhören, dazu das mahlende Geräusch aus der Maschinengondel hoch oben über dem Windenergiepark Westküste. Auch im 21. Jahrhundert ist Windstrom nicht auf leise Art zu haben. Doch die Erzeugung war vor einem Vierteljahrhundert noch viel lauter. Zumindest als der damalige Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) am 24. August 1987 - vor genau 25 Jahren - im Kaiser-Wilhelm-Koog in Schleswig-Holstein den ersten kommerziellen Windpark Deutschlands ans Netz schaltete.
Mittlerweile sind rund 40 Megawatt an Windkraftleistung in dem kleinen Ort installiert. Dabei hatte im Kaiser-Wilhelm-Koog alles mit einem Misserfolg angefangen. Ende der 1970er-Jahre wollten Wissenschaftler mit der seinerzeit größten Anlage weltweit zeigen, wozu die Windkrafttechnik imstande ist. Am 6. Juli 1983 ging an der Stelle des heutigen Windparks "Growian" in den Probebetrieb. Die Kurzform steht für "große Windenergieanlage".
"Growian" hatte eine Turmhöhe von 100 Metern und einen fast ebenso großen Flügeldurchmesser. Wehte der Wind kräftig, produzierte die Anlage drei Megawatt. Nur vier Jahre nach dem Start kam jedoch bereits das Aus für das mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums gebaute Windrad. Kurze Zeit später wurde es schließlich abgewrackt. Tatsächlich stand "Growian" die meiste Zeit still. Grund waren Konstruktionsfehler. Doch die Ingenieure lernten aus den Fehlern viel.
Die Erfahrungen mit "Growian" flossen in den Bau des ersten kommerziellen Windparks ein. An gleicher Stelle gingen 1987 insgesamt 30 kleinere Windkraftanlagen mit zusammen einem Megawatt Leistung ans Netz. Die ganze Branche profitiert noch heute von den grundlegenden Erkenntnissen, die im Kaiser-Wilhelm-Koog gewonnen wurden.
Der Ort ist eine der Keimzellen der Energiewende. "Wobei ,Growian' ja kein Erfolg war und die Energiewende lauter dezentrale Wiegen hat", sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). "Aber als Symbol geht es durch."
"Durch die Rotoren und Getriebe wurde erstmals deutlich, welche Schallemissionen von einem Windpark ausgehen", berichtet der Geschäftsführer des Windparks, Heinz Vinck, aus der Anfangszeit. Dabei waren die ersten Anlagen im Vergleich zu heutigen nur Winzlinge. Die waren gerade einmal kirchturmgroß mit sechs bis sieben Meter langen Flügeln.
Die Windräder des ersten kommerziellen Windparks sind mittlerweile bereits zweimal erneuert worden. Statt einstmals aus 30 Windrädern besteht der Windpark aktuell aus nur noch fünf leistungsstärkeren Anlagen, wie Vinck sagt. Das nächste sogenannte Repowering, also die Erneuerung der Windmühlen mit noch mehr Kraft, ist für das Jahr 2018 geplant. Betrieben wird der Windpark von der Windenergiepark Westküste GmbH, Gesellschafter sind die Stromkonzerne E.on Hanse und Vattenfall Europe Windkraft.
Zurzeit hat Deutschlands ältester kommerzieller Windpark eine Leistung von 7,4 Megawatt. Das reicht laut Vinck, um damit statistisch gesehen 5430 Einfamilienhäuser mit Strom zu versorgen. Alternativ reiche diese Leistung aus, um 95 Millionen Kilometer mit einem Elektroauto zurückzulegen.
Im Schnitt drehten sich die Windräder des Parks im vergangenen Jahr 2565 Stunden, wie Vinck sagt. Das Problem von Anlagen-Abschaltungen durch Netzbetreiber wegen Netzüberlastung bezeichnet er als "zunehmend, aber klein gegenüber der möglichen Einspeisung".
Doch nicht nur im Windpark drehen sich im Kaiser-Wilhelm-Koog Windräder. Insgesamt sind in dem Ort 28 Windmühlen aufgestellt. Seit Mitte der 90er-Jahre halten die Bewohner des Koogs selbst Anteile an Windrädern. Ein Jahr zuvor hatten 54 Gesellschafter der Gemeinde einen ersten Bürgerwindpark gegründet. Ende Oktober 1996 drehten sich deren erste Windräder. "Mittlerweile gibt es drei Bürgerwindparks, an denen insgesamt 175 Bürger beteiligt sind", sagt Bürgermeisterin von der Geest-Borwieck. "Die Windkraft gehört für uns dazu, wir sind mit ,Growian' in die Geschichte reingewachsen." Dank der Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 80 000 bis 200 000 Euro pro Jahr ist die kleine Gemeinde schuldenfrei.
"Die Windenergie in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aus der Nische heraus zu einem wichtigen deutschen Wirtschaftszweig entwickelt", beschreibt Alexander Sewohl vom Bundesverband WindEnergie die Entwicklung, seit der Windenergiepark Westküste an den Start ging.
"Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland Windkraftanlagen im Wert von 5,96 Milliarden Euro hergestellt", bilanziert Sewohl. Ein Großteil davon stromert durch die Welt: Zwei Drittel der in Deutschland hergestellten Anlagen werden exportiert. Mehr als 100 000 Beschäftigte zählt der Windenergiesektor nach Angaben des Verbandes mittlerweile in Deutschland.
Zwischen Husum und Garmisch drehen sich zurzeit 22 664 Windräder mit einer Gesamtleistung von 30 016 Megawatt. 2011 produzierten sie damit in Deutschland rund 14 Terawattstunden (14 Milliarden Kilowattstunden). Nach Angaben des Windenergieverbandes ist dies genug, um damit 13,7 Millionen Haushalte mit elektrischer Energie zu versorgen.
"Bereits heute deckt Windenergie fast zehn Prozent des deutschen Strombedarfs. Damit ist sie die wichtigste unter den erneuerbaren Energien", stellt Sewohl fest. Nach Einschätzung des Verbandes wird im Jahr 2020 bereits jede vierte Kilowattstunde aus Windenergie kommen.
In Schleswig-Holstein liefern Windräder derzeit etwa 3000 Megawatt und decken damit knapp die Hälfte des Stromverbrauchs im nördlichsten Bundesland. In drei Jahren sollen es bereits 12 000 Megawatt sein, davon 9000 aus Landanlagen und 3000 aus den ersten Offshore-Parks in der Nordsee. Schleswig-Holstein könnte dann seinen Strombedarf schon 2015 selbst decken und zudem Strom exportieren. Ohne die Kraft des Nordens kann Deutschland die Energiewende wohl nicht schaffen.
Für den rasanten Zuwachs von Energieanlagen im Land gibt es zwei Gründe: erstens das Repowering, zweitens den Bau weiterer Windparks. Die vom Land festgelegten Eignungsflächen für Windkraftanlagen sollen deutlich erweitert werden.
In Schleswig-Holstein wächst derweil der Widerstand gegen immer neue Windparks. In etlichen Orten haben Einwohner die Pläne für Parks bereits per Bürgerentscheid gestoppt. Auch für die erforderlichen neuen Stromtrassen, die die Windenergie von Nord nach Süd transportieren sollen, ist Widerstand zu erwarten. "Aber bei aller persönlichen Betroffenheit, letztlich muss die Gesellschaft sich fragen, ob sie eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke will oder den Atomausstieg", meint Umweltminister Habeck.