Die Eröffnung der Ostseepipeline Nord Stream wollen Kanzlerin Merkel und Kremlchef Medwedew groß feiern. Doch in der EU halten sich Ängste vor einer zunehmenden Abhängigkeit von der Energiegroßmacht Russland.

Moskau/Lubmin. Einen Meilenstein für Europas Energiesicherheit – so werden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Kremlchef Dmitri Medwedew die Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream bei einer rauschenden Party nennen. Beide wollen an diesem Dienstag den Gashahn für die 1224 Kilometer lange Leitung am deutschen Anlandepunkt in Lubmin offiziell aufdrehen. Nach nur rund anderthalb Jahren Bauzeit feiert die Energiegroßmacht Russland mit ihrem Gasmonopolisten Gazprom die Nord-Stream-Leitung als neuen Triumph im internationalen Pipeline-Poker. In Deutschland halten sich aber Ängste vor einer zunehmenden Energieabhängigkeit von Russland.

Erst unlängst hatte der russische Regierungschef Wladimir Putin mit Blick auf den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie werbend erklärt, Nord Stream werde eine Leistung von elf Atomkraftwerken haben. Nach dem nun fertigen ersten Strang soll der zweite im nächsten Jahr ans Energienetz gehen. Putin und Gazprom-Chef Alexej Miller sprachen zuletzt außerdem immer wieder von einem möglichen dritten Strang, um den wachsenden Energiehunger im Westen zu stillen. Russland als weltweit größter Gasproduzent sei dazu bereit.

Triumphal drehte „Gas-Putin“, wie ihn seine Kritiker gern nennen, schon im September im russischen Wyborg den Gashahn für Nord Stream auf. Der für Russland wichtigste Punkt: Erstmals fließt das Gas direkt nach Deutschland – unter Umgehung der bisweilen schwierigen Transitländer. Gemeint ist vor allem die Ukraine, die ihre Lage als wichtigstes Transitland in die EU immer wieder ausgenutzt habe.

Durch den ersten Strang strömen nun 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. Das sibirische Gas gelangt durch die Festlandleitung Opal weiter in Richtung Süden. Die Gesamtkapazität beider Nord-Stream-Stränge beträgt 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr und soll 2012 erreicht werden. Damit könnten rechnerisch 26 Millionen Haushalte mit Gas versorgt werden. Gut 7,4 Milliarden Euro kostet das Projekt, das Putin und Ex-Kanzler Gerhard Schröder 2005 auf den Weg brachten.

Schröder, inzwischen Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Nord Stream AG, feiert auch in Lubmin mit den rund 400 Gästen. Der bei der russischen Präsidentenwahl 2012 wieder in den Kreml strebende Putin aber schenkt sich den Rummel. Ohnehin sehen die Russen die Feiertagslaune in Lubmin im Vorfeld etwas getrübt. Denn die EU-Kommission ließ Ende September wegen des Verdachts illegaler Geschäftspraktiken Erdgasfirmen in mehreren EU-Ländern durchsuchen.

Bei den Vorwürfe gegen Gazprom geht es unter anderem um einen Missbrauch der Monopolstellung, um Preistreiberei und die Behinderung von Konkurrenten beim Zugang zu Gasleitungssystemen. Die Wettbewerbshüter vermuten, dass Preise abgesprochen wurden, was wiederum Kunden geschädigt haben könnte. Die Ergebnisse der Kontrollen, die Putin als „peinliche Überraschung“ bezeichnet hatte, stehen noch aus. Sinkende Preise sind vorerst nicht in Sicht.

Energieexperten gehen davon aus, dass die Nachfrage in der EU bis 2030 um mindestens 200 Milliarden auf dann 516 Milliarden Kubikmeter Gas ansteigt. Nach dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft hofft Russland auf noch mehr Absatz bei seinem schon jetzt mit Abstand größten Energiekunden in der EU. Nicht zuletzt frohlocken die Russen, dass angesichts der Finanzkrise auch die Subventionen für alternative Energien zurückgefahren werden.

Putin, der das gegen den Widerstand etwa von Polen und gegen Umweltbedenken präzise durchgezogene Nord-Stream-Projekt als Triumph feierte, plant längst die nächste Route in den Westen. Mitte September ließ er das Megaprojekt South Stream zur Erdgas-Versorgung Südeuropas mit deutscher Unterstützung vertraglich festklopfen. Die BASF-Tochter Wintershall sowie der italienische Energiekonzern Eni und die französische EdF unterzeichneten im Schwarzmeerort Sotschi eine Vereinbarung mit Gazprom.

Die geplante Leitung durch das Schwarze Meer gilt als Konkurrenzprojekt zum EU-Vorhaben Nabucco, das Russland umgehen und die EU von Gazprom unabhängiger machen soll. Doch im internationalen Pipeline-Poker dürfte Russland alles tun, um Nabucco zu verhindern. Und längst baut das Land vor, sollte die EU die Marktmacht Russlands brechen. Das Riesenreich orientiert sich zunehmend auch in Richtung des wachsenden Energiehungers in Asien.