Die Braunschweiger haben ihrem Ruf als Ober-Karnevalisten alle Ehre gemacht. Mehr als 200.000 Narren feierten den „Schoduvel“-Umzug.

Braunschweig. Bilderbuchwetter für Narren: Bei strahlendem Sonnenschein ist am Sonntag der längste Karnevalsumzug des Nordens durch die Braunschweiger Innenstadt gezogen. In der norddeutschen Hochburg des bunten Treibens gingen die Organisatoren von 200 000 oder gar noch mehr Zuschauern an den Straßenrändern aus. Von einem der vorderen Prunkwagen beglückte Ministerpräsident David McAllister höchstpersönlich das Volk mit Bollchen – so werden Bonbons in Braunschweig genannt. Die Jecken in Hannover, Osnabrück und Ganderkesee hatten bereits am Samstag ihre Paraden abgehalten.

Hexen, Astronauten, Kühe, Bären, Prinzen – die Braunschweiger Innenstadt wimmelte nur so von bizarren und bunten Gestalten. „Wir kommen seit 19 Jahren als Clowns“, erzählt Ute Steding-Albrecht aus Sievershausen im Kreis Peine. Die 52 Jahre alte Psychologin muss nicht lange nach einer Begründung suchen: „Das ist der Spaß am lustigen Tun ohne Sinn.“ Vielleicht nicht jeder, aber doch viele Norddeutsche hätten diesen. Steding-Albrecht, ihre 12-jährigen Zwillinge Hanna und Martin sowie mehrere Freunde verfolgen den 6,5 Kilometer langen Zug mit Freuden – singen, tanzen und schunkeln.

Schon zum Prinzenfrühstück in der VW-Halle war auch Landesherr McAllister eingetroffen. „Ich habe schon viel Gutes und Schönes vom Braunschweiger Karneval gehört, auch von meinem Vorgänger Christian Wulff“, sagte der Regierungschef – und setzte sich schnurstracks die bunte Kappe des Braunschweiger Karnevalskomitees auf. Seine Töchter Mia und Jamie waren nicht dabei. Er selbst wollte etwa drei Stunden mitfahren und dann noch an den Schreibtisch.

Der „Schoduvel“ schlängelte sich bereits zum 33. Mal durch die Innenstadt Braunschweigs. „Nur in Mainz und Köln sind die Umzüge noch länger“, sagte Zugmarschall Hans-Peter Richter. Weit mehr als 5000 Narren, Musiker und Tänzer von über 220 Gruppen, 62 Motivwagen und vielen anderen Fahrzeugen und Fußgruppen bildeten die närrische Parade. „Schoduvel“ bedeutet so viel wie „Scheuchteufel“, er sollte schon im Mittelalter den Winter verscheuchen.

Heute nehmen die Narren auch in Braunschweig gern die Politik auf die Schippe: Riesige Glühbirnen erinnern an die Einführung der Sparlampen durch die EU, ein Pappauto mit Kamera an Googles „Streetview“. Oberbürgermeister Gert Hoffmann muss als Pappfigur in ein umstrittenes Spaßbad springen, verbogene Schienen symbolisieren die seit zwei Jahrzehnten erfolglose Planung einer Regiobahn.

Die „Junge Gesellschaft“ aus Destedt, einem Dorf östlich von Braunschweig, ist mit drei Wagen angereist. Ob es um das marode Atomlager Asse oder um den Bahnhof in Stuttgart geht – sie stellen die Politik als Marionette der Wirtschaft dar. „Wir hätten auch gern zu Guttenberg thematisiert, aber der Skandal kam zu kurzfristig“, sagte Michael Marsel. Er und die anderen Destedter beginnen jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr mit dem Bau der Wagen.

Und überall waren blau-gelbe Schals, Mützen und T-Shirts des Fußballclubs Eintracht Braunschweig zu sehen. Gut gelaunt ließ sich auch McAllister von seinem Vorvorvorgänger Gerhard Glogowski einen Schal des Vereins umhängen. Glogowski hatte den Straßenkarneval vor 33 Jahren ins Leben gerufen: „Damals sind wir mit drei, vier kleinen Wagen durch die Stadt gezogen, viele Leute haben uns einen Vogel gezeigt“, erinnert sich der Ministerpräsident a.D.

Damals habe er seine Kinder mitgenommen, in diesem Jahr seien erstmals seine Enkel dabei. „Ob nun 150 000 oder 250 000 Zuschauer kommen, ist doch egal – es kommen immer unglaublich viele Leute“, findet er. Das sehen auch Tatjana Thiele und Kathrin Flaifel so. Die 25 und 31 Jahre alten Frauen waren schon als Kinder hier, nun stehen ihre eigenen Kinder in der ersten Reihe. „Man darf sich das nicht entgehen lassen“, ruft Tatjana gegen die laute Musik an. Doch auch vom Sofa aus war das närrische Treiben zu bestaunen: Seit mehreren Jahren wird das Spektakel live vom NDR-Fernsehen übertragen. Auf ihrem Weg verteilten die Jecken 15 Tonnen Bollchen, 15 000 Schokotäfelchen, 100 000 Waffeln und 10 000 Schokoriegel. Auch die letzten Schoko-Weihnachtsmänner der Saison sollen dabei gewesen sein. (dpa/abendblatt.de)