Für Tausende Seefahrer war er Symbol nahende Heimat. Die Rettung stand später Pate für über 200 Denkmalschutzprojekte in Deutschland.

Bremerhaven. Der Blick aus den obersten Fenstern über das Meer scheint bis New York zu reichen. Aber nur knapp 300 Menschen haben in diesem Sommer die fantastische Perspektive genießen können. Denn das Zimmer mit Aussicht steht weit vor der Nordseeküste. Und das seit 125 Jahren: Am 1. November 1885 wurde erstmals das Feuer des Leuchtturms Roter Sand gezündet. Seither gilt der rot-weiß-schwarze Turm mit seinen drei charakteristischen Erkern als Sinnbild eines Schifffahrtszeichens schlechthin. 1987 wurde er das erste offizielle Objekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die den Turm seit 1999 als einsamstes Hotel Deutschlands betreibt.

Eine ganze Kette von Seezeichen markiert weit draußen in der Deutschen Bucht den Schifffahrtsweg durch gefährliche Untiefen. Aber kaum einer der Wegepunkte ist so bekannt wie der „Rote Sand“ rund 50 Kilometer nördlich von Bremerhaven. Seine Nachbildungen finden sich nicht nur in vielen binnenländischen Fischbratküchen, sondern sogar in Kleingärten und Wohnzimmerfenstern.

„Wir haben nicht allzu viele Nationaldenkmäler“, beschreibt der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Dr. Gottfried Kiesow, die Bedeutung des Turms und stellt ihn damit auf eine Stufe mit dem Brandenburger Tor und dem Kölner Dom. Für die Küstenbewohner habe er sogar „einen ähnlichen Symbolwert wie die Freiheitsstatue für New York“.

Dieses Wertebewusstsein bewahrte den Turm vor dem Ende unter dem Schneidbrenner, als sein Feuer 1974 verlöscht und durch den benachbarten Neubau „Alte Weser“ ersetzt wurde. Eine Bürgerinitiative überzeugte das Land Bremen als ursprünglichen Bauherrn und das Bundesverkehrsministerium als Eigentümer in jahrelangem Bemühen, den 52 Meter hohen Stahlturm unter Denkmalschutz zu stellen.

Ausschlaggebend war neben dem Symbolwert auch die Bedeutung des Turms als erstes Offshore-Bauwerk der Welt. „Der Bau war selbst für heutige Verhältnisse eine technologische Herausforderung“, ist Willi Scheyka überzeugt, der den Turm jahrelang für die Stiftung Denkmalschutz betreute.

Bereits vor 125 Jahren wandten die Ingenieure dieselbe Technik für die Gründung des Turmes an, wie sie heute für die Fundamente modernster Windkraftanlagen auf hoher See eingesetzt wird. An Land ließen sie einen runden Senkkasten mit knapp 30 Metern Durchmesser fertigen. Dann versenkten sie diesen so genannten Caisson auf hoher See, füllten ihn von Hand mit mehr als 300 Kubikmetern Beton und schufen so das Fundament für den Turm.

Auch in der Finanzierungsplanung erwies sich der Turm als Vorläufer heutiger Verhältnisse. Nachdem ein erster Bau-Anlauf im Sturm gescheitert war, verdoppelten sich die ursprünglich veranschlagten Baukosten bis zur Fertigstellung auf umgerechnet 15 Millionen Euro.

Heute steht der Turm sowohl technisch als auch finanziell auf einer soliden Basis. 1987 wurde er als erstes Objekt von der zwei Jahre zuvor gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz übernommen. Zu dieser Zeit heuerte Scheyka bei der Stiftung an, nachdem er seinen Dienst als aktiver Marineoffizier quittiert hatte: „Die Stiftung suchte jemand, der wenigstens schon mal einen Leuchtturm gesehen hatte“, erinnert sich Scheyka.

Während die Ingenieure des Bremerhavener Schifffahrtsamtes die Standfestigkeit des Turmes in einer spektakulären Aktion mit einer Stahlmanschette sicherten, konstruierte die Stiftung das finanzielle Fundament für den Erhalt. „Unter dem Dach der nationalen Stiftung haben wir eine eigene Leuchtturmstiftung gegründet, in dessen Beirat Instanzen wie das Deutsche Schifffahrtsmuseum vertreten sind“, erläutert Scheyka. Diese Konstruktion sichere Finanzierung und wissenschaftliche Expertise gleichzeitig und sei Vorbild für mehr als 200 weitere Denkmalprojekte geworden, freut sich Scheyka: „Nur so war es möglich, viele der alten Kirchen im Osten Deutschlands als Denkmäler zu bewahren.“

In die Leuchtturm-Stiftung fließen nicht nur öffentliche Mittel und Spenden zum Erhalt des Turms. Während der Sommermonate vermietet die Stiftung die originalgetreu eingerichteten Leuchtturmwärter-Kojen an bis zu sechs Übernachtungsgäste und organisiert Tagesfahrten zum Turm. 52 Menschen übernachteten in diesem Jahr auf dem „Roten Sand“, 237 kamen als Tagesbesucher.

„Die Besucher fahren mit einem historischen Dampfschlepper zu dem Turm und bekommen so einen besonders intensiven Eindruck lebendiger Geschichte“, sagt Scheyka. „Die Termine werden im November bekannt gegeben und sind zumeist binnen weniger Tage ausgebucht“, weiß Tanja Albert, die die Touren bei der Bremerhavener Tourismusförderung organisiert.

Nicht jede Fahrt kommt allerdings zustande. „Bei mehr als vier Windstärken kann man am Turm nicht mehr anlegen“, erläutert Scheyka. Wen es auf der Hinfahrt erwischt, hat Pech gehabt. Wer schon auf dem Turm ist, wenn der Wind auffrischt, muss ausharren. „Dafür gibt es extra Notproviant“, so Albert. Der Ausgleich fürs karge Essen ist dann allerdings der fantastische Ausblick.