Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die Partei der Minderheit im Landesteil Schleswig, macht auch in Holstein eifrig Wahlkampf.
Kaltenkirchen. Eine alte Frau schiebt ihr Fahrrad an den Stand heran. "Kann ich einen Prospekt bekommen?" Jan Scherping, der mit Uwe Bruhns in Kaltenkirchen für den SSW wirbt, gibt ihr einen blau-gelben Flyer. "Werden Sie SSW wählen?", fragt er. "Natürlich, das mache ich doch immer", entgegnet die weißhaarige Frau. Bruhns ahnt etwas. "Hvor kommer du fra?" ("Wo kommst du her?") Die Augen der Frau leuchten. "Eigentlich aus Flensborg", antwortet sie auf Dänisch. Und schon ist auf dem kargen Platz vor dem Kaltenkirchener Rathaus eine gemütliche "danske" Plauderei im Gang.
Scherping und Bruhns macht der Wahlkampf in der Diaspora sichtlich Spaß. Scherping, 51, lebt in Norderstedt, also im tiefsten Holstein, weit weg von der deutsch-dänischen Grenze, die nach einer Volksabstimmung 1920 gezogen wurde und zwei Minderheiten hinterließ - in Dänemark die deutschen Nordschleswiger, in Schleswig-Holstein die dänischen Südschleswiger. Bruhns, 75, lebt noch weiter entfernt von der Grenze. Der Rentner kommt aus Hamburg, darf also bei der Wahl zum Kieler Landtag am 6. Mai nicht mitstimmen. Dennoch haben beide beschlossen, einen Teil des Wochenendes dem Südschleswigschen Wählerverband zu opfern und vor dem schmucklosen 80er-Jahre-Bau in Kaltenkirchen den anderen Parteien Paroli zu bieten. Links vom SSW haben die Piraten ihren Infostand aufgebaut, schräg rechts steht die SPD, weiter hinten die CDU und ganz am Rand die FDP. Nur von den Grünen ist an diesem Tag nichts zu sehen.
Mit der SPD verstehen Scherping und Bruhns sich auf Anhieb. Eine in die Jahre gekommene Genossin kommt herüber, tauscht SPD-Schokoherzen gegen SSW-Bonbons und sagt: "Wär doch schön, 'ne Koalition zwischen uns, oder?!" Scherping und Bruhns nicken, erzählen von den Problemen, ihre Lieblingspartei SSW zu wählen. In Hamburg steht die Partei der dänischen Minderheit nicht auf dem Wahlzettel. Bruhns macht sein Kreuz ersatzweise bei der SPD. In ganz Holstein ist der SSW erst seit 1997 wählbar. Scherping, der vorher für SPD und Grüne stimmte, wählt seitdem die Dänen mit deutschem Pass. Seit 2005 ist er Mitglied des SSW und trägt den Kurs der Minderheitenpartei voll mit. Rot, Grün und SSW - aus seiner Sicht ist das eine stimmige Kombination.
+++ Partei der dänischen Minderheit will rot-grüne Mehrheit sichern +++
Für andere offenbar auch. Ein Mann nähert sich dem blauen SSW-Stand. "Ich hab da mal 'ne Frage", sagt er. "Ein Bündnis mit der FDP ist für den SSW ausgeschlossen?" "Ja, ausgeschlossen", sagt Scherping. "Und mit der CDU?" "Auch." "Das finde ich schon mal gut", bekennt der hagere Mann mit den grauen kurzen Haaren und der schwarz gerandeten Brille. Er schmunzelt, nimmt ein Heft mit den SSW-Kernforderungen und verabschiedet sich zufrieden.
Scherping und Bruhns, die Wahlkämpfer vorm Rathaus, gehören einer besonderen Gruppierung innerhalb des SSW an: der Arbeitsgruppe Hamburg-Holstein. In dieser "Auslands-AG" haben sich gewissermaßen die Versprengten versammelt, die in Holstein oder noch weiter südlich leben. Viermal im Jahr treffen sie sich in Hamburg, in der dänischen Seemannskirche unweit der Landungsbrücken. Etwa 30 Leute sind es im Schnitt, die bei diesen Treffen anlanden. "Manche kommen aus Fehmarn, andere aus dem Kreis Segeberg", berichtet Bruhns, "da ist es am praktischsten, wenn wir uns in Hamburg zu treffen." Die Mitglieder gehören entweder zur dänischen Minderheit oder sympathisieren mit ihr.
Scherping ist so ein Sympathisant. Einer, der sogar Dänisch gelernt hat. "Ich bin in Lübeck aufgewachsen, und meine Eltern haben mit uns immer Ferien auf Bornholm gemacht, weil mein Vater keine Lust auf lange Autofahrten hatte." Ihm hat es auf Bornholm gefallen. Er mag das skandinavische Gesellschaftsmodell, den starken Sozialstaat, den schonenden Umgang mit der Natur. Später hat er einen Reiseführer über Dänemark geschrieben. Mittlerweile ist er Unternehmensberater. Sein Sohn ist zehn und hat ihm neulich schon mal am Infostand geholfen.
Scherpings Kollege Bruhns gehört zur dänischen Minderheit. Er ist in Schleswig aufgewachsen und hat die dänische Schule besucht. Arbeit hat er nördlich der Eider, der Grenze zwischen Schleswig und Holstein, damals allerdings nicht gefunden. "Das ist ja das Problem: Wir bluten da oben aus, weil es mit der Wirtschaft so dünn ist", sagt Bruhns. Er zog nach Hamburg. Lange hat er bei Karstadt gearbeitet, zuletzt als leitender Angestellter. Seine Kinder, insgesamt sechs aus zwei Ehen, sprechen kein Dänisch mehr. Er ist der Letzte in seiner Familie, mit ihm wird Schluss sein. Die SSW-Arbeitsgruppe und der Wahlkampfeinsatz sind sein Weg, nicht gänzlich von seinen Wurzeln abgeschnitten zu werden. Und deshalb hat seine Stimme wohl auch diesen weichen Klang bekommen, als er vorhin die Frau mit dem Fahrrad gefragt hat: "Hvor kommer du fra?"