Ostseepipeline und Hafenaufspülung: Der massenhafte Abbau für Küstenschutz und Bauwirtschaft führt zu Umweltproblemen.
Stralsund. Der Bedarf an Kies und Sand aus der Ostsee wächst - doch im Meer geht der Sand aus. Das Bergamt Stralsund bearbeitet derzeit eigenen Angaben zufolge in neun laufenden Planfeststellungsverfahren Anträge für die Förderung von Kies und Sand vor der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Acht Verfahren beziehen sich auf gewerbliche Lagerstätten für Hafenaufspülungen oder Bauvorhaben an Land, einer auf den Abbau von Sand für Küstenschutzmaßnahmen, wie Hanjo Polzin vom Bergamt Stralsund gestern auf einer Tagung über den Sandabbau in den Meeren sagte.
Allein im Jahr 2010 wurden knapp drei Millionen Tonnen Sand und Kies in gewerblichen Lagerstätten sowie 1,7 Millionen Tonnen für den Küstenschutz gefördert. Für diese größte Fördermenge seit 1990 werden vor allem der Bau der Ostseepipeline und Hafenaufspülungen in Rostock verantwortlich gemacht. Insgesamt lägen 31 Bewilligungen vor, davon 16 für die Förderung von Sand in gewerblichen Lagerstätten, 15 für den Küstenschutz. Weitere 15 Felder seien in Erkundung.
Der geologische Vorrat an marinem Sand sei endlich, verdeutlichten Experten. Allein für den Küstenschutz vor dem Fischland, wo pro Jahr Strömung und Wellengang durchschnittlich 250 000 Kubikmeter Sediment abgetragen werden, seien seit 1990 fünf Millionen Kubikmeter Sand abgebaut worden, um die bestehende Küstenlinie halten zu können, sagte Knut Sommermeier vom Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Natur. Die für den dortigen Küstenschutz genutzte Lagerstätte verfüge über ein endliches Volumen von 24 Millionen Kubikmeter.
+++ Lange Strände, steile Küsten, frischer Fisch +++
Experten vom Landesumweltministerium sprachen sich vor rund 100 Vertretern aus Fachbehörden, Umweltverbänden und Meeresbiologen für einen "tragfähigen Kompromiss" zwischen Umwelt- und Küstenschutz aus. Der Küstenschutz sei "alternativlos" auf die Zufuhr von marinen Sanden angewiesen. Orte an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns wie Prerow, Zingst oder Glowe müssten mittelfristig aufgegeben werden, wenn dort nicht Sand aus dem Meer zur Aufspülung von Dünen genutzt würde. Sand aus dem Binnenland sei wegen der geotechnischen Eigenschaften und des Kornspektrums für Aufspülungen ungeeignet. Rund 75 Prozent der Flachküsten in Mecklenburg-Vorpommern seien durch Dünen geschützt.
Einem Vorschlag aus dem Auditorium, langfristig auch Nationalparks, in denen sich das abgetragene Sediment ablagere, zur Förderung von Sand zu nutzen, erteilten Vertreter von Umweltverbänden eine Absage. "Nationalparks sind tabu", sagte der Leiter des WWF-Ostseebüros, Jochen Lamp der Nachrichtenagentur dpa. Auch der Abbau von Sand und Kies aus gewerblichen Lagerstätten für Hafenhinterspülungen oder Bauprojekte an Land müsse gestoppt werden. "Sand ist ein endliches Gut." Selbst im Küstenschutz müssten klare Prioritäten gesetzt werden. Der zunehmende Nutzungsdruck und der Hunger nach Baustoffen in der Nord- und Ostsee stellt nach Auffassung von Naturschutzexperten eine Gefahr für die Flora und Fauna dar. Auch die als ökologisch wertvoll eingestuften Sandbänke und Riffe in Schutzgebieten seien davon betroffen, sagte der Direktor des Deutschen Meeresmuseums, Harald Benke.
Marine Bodengemeinschaften benötigten nach der Bodenschatzgewinnung eine lange Zeit zur Regeneration. Die Auswirkungen seien komplex und würden auch die vom Aussterben bedrohten Ostseeschweinswale betreffen. "Sandaale lieben Meeresgründe. Schweinswale lieben Sandaale", sagte der Walforscher.
Neue Regeln sollen den schonenden Abbau des Sandes garantieren
Nach Angaben der Küstenschutzbehörden soll ein Regelwerk einen umweltschonenden Abbau garantieren. Danach müsse in den marinen Abbaugebieten eine Mindestmächtigkeit von 50 Zentimeter Sediment erhalten bleiben. Zudem könnten sogenannte Sedimentfallen als Barrieren vor der Küste dafür sorgen, dass der von den Dünen abgetragene Sand nicht zu weit abgespült werde und somit weiter nutzbar bleibe.