Rolf Salewski beliefert Menschen im Landkreis Dithmarschen mit Dingen, die sie zum Leben brauchen. Er ist mehr als nur Kaufmann.
Hamburg. Sie warten schon auf ihn. Seine Klingel braucht ihn gar nicht anzukündigen. Salewskis Kunden wissen, dass er kommt. Und wann er kommt. Sie stehen schon in den Haustüren ihrer roten Backsteinhäuser, und wenn er mit seinem beigefarbenen "Frische-Mobil" vorfährt, gehen sie erwartungsvoll durch ihre Vorgärten zur Straße. Es ist der Höhepunkt des Tages.
Er bringt ihnen die Dinge, die sie fürs Leben brauchen. Und mehr. Wenn es Rolf Salewski mit seinem Frische-Mobil nicht gäbe, wären sie einsamer.
"Tabakwaren erst ab 18 Jahren", steht über seinem Zigarettenständer. Der Hinweis ist nicht nötig. Die meisten Kunden sind 70 Jahre und älter.
Vielen Kunden von Salewski geht es nicht gut. Deshalb ist der Mann mit dem rollenden Supermarkt auch ein Sozialarbeiter, ein Altenpfleger, Ernährungsberater, Seelsorger, Alleinunterhalter. Ein Kümmerer eben. Der Mann mit dem gutmütigen Gesicht, der gemütlichen Statur und der dunklen, sanften Stimme ist Ersatz für vieles, was ältere Menschen verloren haben. Über sich selbst sagt Rolf Salewski: "Ich bin Sozialarbeiter. Ob ich nun will oder nicht."
Dithmarschen ist ein Kreis der Greise. 2025 wird der Anteil der Über-60-Jährigen hier 40 Prozent betragen, heute liegt der Anteil bei 28 Prozent. Heute leben hier 136 000 Menschen, im Jahr 2025 werden es 9000 weniger sein. Die Zahl der Alten wird von 39 000 auf 50 000 steigen. Fünfzigtausend potenzielle Kunden für Rolf Salewski.
Zwei Stunden, bevor sich die ersten Kunden an die Straße stellen und auf ihn warten, steht Rolf Salewski in einer kalten Lagerhalle in seinem Wohnort Barlt. Der Eiermann, der Schlachter und der Bäcker waren schon da. Der Rest kommt von einem Grossisten, der auch ganz normale Supermärkte beliefert. Salewski packt die Waren in den ausgebauten Daimler-Vario. Im Fahrzeug, das kaum größer ist als ein geräumiges Wohnmobil und in dem man aufrecht stehen kann, bringt er 1100 Artikel unter. Eintausendeinhundert, auf 15 Quadratmetern Verkaufsfläche und 52 Metern Regal. Von der Blumenerde bis zur Begonie. Von der Grillkohle bis zur Bratwurst. Von der Zahnpasta bis zur Brausetablette für die Dritten. Milch, Fleisch, Eier, Obst, Zeitungen, Brötchen, Tortenstücke. "Ich fahre den Leuten den Wochenmarkt vor die Tür", sagt Salewski und dreht den Zündschlüssel um. Der Dieselmotor fängt an zu tuckern. Es ist 7.30 Uhr, als Salewski auf die Straße fährt, um 4.45 Uhr ist er aufgestanden. Wie jeden Tag, außer am Wochenende. Die Brötchen im Regal hinter seinem Fahrersitz duften.
Schon als Kind mochte Salewski die fahrenden Händler, die bei seinen Eltern vorfuhren - im Bäckerwagen, im Milchwagen, im Fischwagen, im Obstwagen. Salewski machte eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann, saß danach viel im Büro, das war ihm zu langweilig. Mehr Spaß machte ihm danach schon der Job im Außendienst einer Großbäckerei, doch die wurde verkauft, und der Job war weg. Salweski besorgte sich selbst einen neuen. 1984 kaufte er für 12 500 Mark einen Transporter, baute ihn aus und fing an, Lebensmittel auszufahren. Erst hatte er 300 Artikel, dann immer mehr. Um Kunden anzuwerben, steckte er ihnen Handzettel in den Postkasten. Das macht er heute noch. Wer Interesse hat, kommt auf Salewskis Route, mittlerweile hat er 600 Kunden. Seinen Verkaufswagen fährt er immer fünf Jahre, dann schafft er sich einen neuen an. Sein aktuelles Supermarktmobil ist erst ein paar Wochen alt und hat 100 000 Euro gekostet.
Er fährt in Orte wie Volsemenhusen, Odderade, Busenwurth
Im Jahr 1990 gab es noch fast 50 000 kleine Lebensmittelläden in Deutschland. Heute ist nur noch die Hälfte davon übrig. Dass Menschen auf dem Land davon besonders betroffen sind, ist klar, aber sogar in Städten ist die Nahversorgung der Bürger nicht mehr gewährleistet.
Drei Touren fährt das Frische-Mobil jeweils zweimal die Woche, so deckt Salewski den ganzen Kreis Dithmarschen ab. Er fährt in Orte wie Volsemenhusen, Odderade oder Busenwurth. Dithmarschen ist von der Fläche her zweimal so groß wie Hamburg, der viertgrößte Kreis Schleswig-Holsteins. Von den Einwohnern her ist Dithmarschen der fünftkleinste.
Meldorf. Der Edeka steht jetzt nicht mehr im Zentrum, sondern am Stadtrand. Der Markt ist hochmodern, großzügig. Es gibt nur ein Problem: Für viele alte Menschen ist der Weg dorthin zu weit. Deshalb hat Salewski in Meldorf viel zu tun. Er fährt langsamer und drückt den Knopf für seine Klingel: Rrrrriiiiiiing! Das Signal klingt wie ein alter Wecker, nur viel lauter. Sofort lösen sich Menschen von ihren Häusern und kommen langsam auf das Mobil zu. Die meisten von ihnen sind Frauen, die ihre Männer überlebt haben. Viele benötigen Gehstöcke oder Rollatoren. Manche Omis haben extra eine Bluse angezogen, weil "der Rolf" da ist. Andere sehen mit ihren verwuschelten Haaren und der schlabberigen Kleidung schon etwas verwahrlost aus.
Inge Eigenfeld kann die drei Stufen ins Frische-Mobil noch erklimmen. Trotzdem fängt sie gleich an zu klagen. "Für uns gibt es hier ja nichts mehr", sagt die 76-Jährige. Sie lässt den Ständer mit Süßigkeiten rechts und die Trauerkarten links liegen und geht gleich in den hinteren Teil des Wagens. Dort steht auf der linken Seite das Kühlregal mit den Milchprodukten, den abgepackten Fleisch- und Wurstwaren, und auf der rechten Seite und im Heck stehen die Haushaltsartikel, die Konservenbüchsen und Gläser. Der Edeka in Meldorf sei viel zu weit entfernt, schimpft Frau Eigenfeld, während sie eine Glühbirne, Seife und helle Soße in ihren Einkaufskorb packt. Bei Salewski bestellt sie noch "twee Brötchens - eins für mich, eins für meinen Lebensgefährten". Und eine Illustrierte. "Acht Euro fünfzig", sagt Rolf Salewski. Die meisten seiner Kunden zahlen mit großen Scheinen, diese sehen aus wie frisch gemangelt.
Eine andere ältere Dame möchte den Kaffee aus dem Angebot kaufen. "Drei Euro neunundneunzig. Wenn Sie ihn milder brauchen, dann nehmen Sie nur einen dreiviertel Löffel davon", sagt Salewski und erkundigt sich, ob die Frau auch Milch braucht, so wie immer. Sie selbst hätte es fast vergessen. Als sie geht, fallen Geldstücke aus ihrem Portemonnaie auf den Boden. "Oh, Sie streuen", sagt Salewski und sammelt die Münzen ein.
In Meldorf hält der rollende Supermarkt fast alle hundert Meter. "Blumenerde hast du noch nicht, oder?", fragt eine ältere Frau, als sie neugierig die Waren im Wagen betrachtet. "Doch", sagt Salewski. Die Frau möchte zwei Tüten. "Wie geht es Ihrem Mann?", erkundigt sich Salewski. "Gut, er ist zu Hause." Nicht in der Klinik.
"Er hat Demenz", sagt Salewski, als sich die Wagentür wieder schießt. "Ist alles nicht so einfach." Er kennt die Probleme seiner Kunden, hört die Klagen über die Gesundheit. "Alte Menschen haben besonders oft Schmerzen in den Beinen und in der Hüfte", weiß er.
Die Frau, die als nächstes auf der Route liegt, kann selbst nicht mehr in das Mobil kommen. Vom Fahrersitz aus sieht Salewski nur ihren Schatten hinterm Fenster. Er holt sich ihren Einkaufskorb und ihren Einkaufszettel. In zittriger Schrift hat sie aufgeschrieben, was sie braucht. Bis vor einem Jahr konnte sie noch Fahrrad fahren und selbst einkaufen. Dann stürzte sie. Seitdem ist Salewski ihr Versorger. Mit Bockwürsten, Milch, Joghurt, Kaffee, Buttermilch, Zucker, und Käse verschwindet er wieder in ihrem Haus. Die Tour geht weiter.
Als er wieder in seinem Führerhäuschen sitzt und aus Meldorf herausfährt, deutet er auf einen Din-A5-Block. Darauf stehen Namen und Beträge. Kunden, die bei ihm haben anschreiben lassen. Als so viel Schnee lag, dass die alten Menschen nicht zu ihrer Bank kamen, waren die Seiten voll.
Früher fuhr er überwiegend kleine Örtchen an. Heute, sagt er, fährt er auch in größere Orte wie Marne oder Meldorf. Dort werden Lebensmittelläden vor allem durch Supermärkte und Discounter verdrängt, die am Ortsrand errichtet werden. Ältere Menschen können sich nur noch mithilfe von Salewski versorgen: Er hat vorgekochtes Hühnerfrikassee an Bord, Sauerfleisch, Bratheringe, Topfsülze und Diabetiker-Schokolade. Und Literatur gegen Einsamkeit: "Dr. Frank - der Arzt, dem die Frauen vertrauen." Oder: "Dr. Norden".
Dreimal hat Rolf Salewski schon Kunden tot in ihrem Haus gefunden
Hemmingstedt. Uschi Timm ist mit 59 Jahren eine der jüngeren Kunden. Sie hat früher im Spar-Markt um die Ecke als Verkäuferin gearbeitet, doch der musste schließen. Sie redet nicht viel, aber man merkt ihr die Freude darüber an, dass Salewski da ist. Sie kauft eine Zeitung, Butter, Kartoffeln, Wurst. Und ein Brötchen. Bis vor 14 Tagen hat sie zwei Brötchen gekauft. "Vor zwei Wochen ist ihr Mann gestorben", sagt Salewski, als er weiterfährt. Herr Timm hatte Krebs, Salewski hat die Zeit der Krankheit mitbekommen, auch die Zeiten, als er ins Krankenhaus musste und zum Sterben nach Hause kam. "Vielleicht bin ich jetzt eine Art Trost für die Kunden, wenn so etwas passiert. Sie wissen, sie werden weiterversorgt und müssen sich zumindest darum keine Sorgen machen."
Wenn Salewski sieht, dass die Müllabfuhr schon da war, nimmt er die geleerten Tonnen seiner Kunden wieder mit zum Haus. Wenn die Müllabfuhr noch nicht da war, trägt er die vollen Tonnen zur Straße.
So unterschiedlich wie seine Kunden ist oft auch deren Stimmung. "So, Liebling! Hast du noch einen Kringel?", flirtet die lebenslustige Helga Plath ihren Verkäufer an. Ihr Geld hat sie in einem Plastik-Schälchen mitgebracht, ihre Einkäufe packt sie in einen Eimer und erzählt dabei, dass 1954 ein Pfund Kaffee 13 Mark 80 gekostet hat. Damals, als sie noch Verkäuferin gelernt hat. Als Salewski wieder fährt, winkt sie ihm fröhlich hinterher. Irgendetwas hat er in ihr angeknipst.
Auch Karl-Heinz und Käthe Hanno nutzen den Einkauf zum Klönschnack. Herr Hanno erzählt, dass es hier früher im Ortsteil zwei Schlachter, zwei Bäcker und zwei Lebensmittelläden gab. "Alles weg", sagt er empört. "Heute haben wir hier nur noch einen Puff." Mit einem Grinsen auf dem Gesicht erzählt er von den Männern, die erst morgens mit dem Taxi abgeholt werden.
Die nächste Frau, Salewski versorgt sie mit Gurken, Vanillesoße, Keksen und Grieß, hat etwas auf dem Herzen. Ihre Nachbarin hat einfach ihr Haus verkauft und will wegziehen. Sie hat ihr nichts davon gesagt. Warum nur? "Die Frau ist halt ein wenig sonderbar, ein Ich-Mensch", sagt Salewski. Seine Kundin ist mit dieser Erklärung zufrieden.
Normalerweise würde Salewski auch am nächsten Haus halten, heute fährt er vorbei. Mit der Kundin hat er ein Zeichen vereinbart: Wenn sie eine Tasche an die Türklinke hängt, will sie etwas einkaufen, hängt dort keine Tasche, kann Salewski weiterfahren. Andere Kunden melden sich bei ihm ab, wenn sie nichts brauchen. Kommen sie nicht an seinen Wagen, klingelt Salewski bei ihnen. "Dreimal habe ich schon Kunden tot zu Hause gefunden", sagt er. "Das gehört dazu." Früher seien die Kinder und Enkel noch oft zu Oma und Opa gekommen, erzählt Salewski. Auch die Missgunst untereinander habe zugenommen, auch unter den alten Leuten. Was seine Kunden eint, ist die Sorge, dass die Rente nicht mehr reicht.
Es ist 16.30 Uhr, als Rolf Salewski seinen Supermarkt wieder in die Lagerhalle rollen lässt. Er will weiterfahren, bis er selbst in Rente geht. Der Kontakt mit seinen Kunden macht ihm Spaß, das Geschäft läuft, er kann gut davon leben. Salewskis Preise sind etwas höher als die im Supermarkt - aber das Fahrzeug und seine Lagerhalle kosten schließlich Geld, sagt er. "Ich habe meine Bestimmung gefunden, ich könnte mir nichts anderes vorstellen." Er ist 53, Nachwuchssorgen hat er nicht: Seine Tochter nimmt ihm schon Touren ab.
In Deutschland gibt es 1800 rollende Supermärkte. Eine Million Kunden kaufen bei ihnen pro Woche ein. Es werden von Woche zu Woche mehr.