Insgesamt 2000 Aktive beteiligen sich am exotischen Spektakel. Das Oberthema des diesjährigen Karnevals lautet „Land Unter“.

Bremen. Trillerpfeifen schrillen über den Marktplatz, das Dröhnen von Trommeln hallt von den Hauswänden. Kostümierte Tintenfische und Meereskorallen staksen durch die Menge, Müllmänner hämmern auf Tonnen, bis das Trommelfell schmerzt. Günter Friedrich schwenkt begeistert die Arme in der Luft. Seine Beine zappeln zur Samba-Musik. „Heidi, es geht los!“, schreit er seiner Frau begeistert zu, als sich der Umzug in Bewegung setzt. Drei Jahre hat Friedrich den Bremer Samba-Karneval schon nicht mehr erlebt, weil der gebürtige Delmenhorster nach Wiesbaden zog. Extra für den heutigen Tag ist er aber in die Heimat zurückgekehrt. Um sprühendes Samba-Temperament zu erleben.

So war zumindest der Plan. Doch statt Partystimmung herrscht bei den meisten der etwa 15 000 Zuschauer Zurückhaltung. „Bei solcher Musik muss man doch eigentlich mitgehen, feiern, schreien“, meint Friedrich sichtlich irritiert. Er lässt seinen Blick über die Zuschauermenge schweifen. Wirklich feiern tut keiner. Ihn selber ausgenommen. „Norddeutschland eben“, seufzt er. „Schade für die Künstler. Die machen sich viel Mühe und bekommen so wenig zurück vom Publikum.“

Vielleicht liegt es auch einfach am Wetter. Temperaturen knapp über null Grad und ein schneidender Wind machen aus dem hitzigen Samba-Spektakel ein Wintervergnügen. Handschuhe und Schal gehören zur Pflichtausstattung, wer lange steht, braucht dicke Stiefel. Die Kälte macht auch vor den Musikern nicht Halt: Viele tragen Mützen. „Trotzdem haben wir verdammt viel Glück gehabt“, sagt Kai-Erik von Ahn, Mitorganisator des Samba-Karnevals in Bremen. „Es liegt kein Eis mehr auf der Straße.“

Bis zur letzten Sekunde hatten er und seine Mitstreiter gezittert. Bei vereisten Straßen hätten die Stelzenläufer nicht antreten können. Zu groß gewesen wäre die Gefahr, auszurutschen und sich zu verletzen. Erst in letzter Sekunde kam die erlösende Nachricht: Das Wetter hält, kein Eisregen in Sicht. „Deshalb konnten die Artisten laufen. Die letzten Eisreste haben wir heute morgen noch eigenhändig weggefegt“, sagt von Ahn.

Denn ein Samba-Karneval ohne Stelzenläufer? Undenkbar – sind sie doch ein Höhepunkt der Veranstaltung. Zusammen mit den Samba-Musikern machen sie den Reiz des Bremer Karnevals aus. Zum diesjährigen 25. Jubiläum sind mehr als 120 Musik- und Künstlergruppen angereist, aus ganz Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Luxemburg. Insgesamt 2000 Aktive beteiligen sich am exotischen Spektakel.

Angefangen hat alles als kleiner Straßenkarneval. Eine Handvoll Samba-Freunde zog 1986 zum ersten Mal durch Bremen. Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl. Immer mehr Menschen aus ganz Deutschland begeisterten sich für die Idee, Karneval mit Samba-Musik zu feiern. Und auch aus dem Ausland stießen Aktive dazu. Viele Gruppen sind mittlerweile Stammgäste.

Das Oberthema des diesjährigen Karnevals lautet „Land Unter“. Ein ernstes, politisches Thema, das auf den ersten Blick nicht zur heiteren Samba-Stimmung passt. Doch der Bruch ist geplant: „Wir wollen Reibung erzeugen und Kontraste schaffen“, sagt Kai-Erik von Ahn. Karneval solle eben nicht nur zum Feiern, sondern auch zum Nachdenken bringen.

Folgerichtig orientieren sich auch die meisten Kostümierungen beim Festumzug am Themenkomplex „Wasser“. Liebevoll entworfene Fisch-Outfits ziehen vorbei an den Zuschauermassen, orangene Riesenkraken schlängeln mit ihren monströsen Tentakeln. Und stets wird die Pracht untermalt von mitreißenden Samba-Rhythmen. Norddeutsche Zurückhaltung hin oder her: Den Ex-Delmenhorster Günter Friedrich hält schon nach wenigen Minuten nichts mehr. Er will feiern. Egal, was die anderen denken. „Einer muss ja für Stimmung sorgen“, sagt er. Spricht's und reißt wieder begeistert die Arme in die Luft.