Schleswig-Holstein hat einen neuen Ministerpräsidenten. Auch zwei oppositionelle Stimmen fielen für den SPD-Kandidaten Torsten Albig. Dieser verabschiedet seinen Vorgänger Peter-Harry Carstensen rührend. Während der Abstimmung dachte Albig an Heide Simonis.
Kiel. Nach seinem Amtseid wirbt Torsten Albig im gläsernen Plenarsaal des Kieler Landtags für eine neue politische Kultur in Schleswig-Holstein und löst sein Versprechen mit Blick auf den gerade abgelösten Regierungschef Peter Harry Carstensen (CDU) sofort ein. "Ich möchte mich bedanken für das, was Sie geleistet haben als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein", sagt Albig feierlich und schiebt ein noch größeres Kompliment nach: "Der politische Streit wird vergessen werden, die historische Leistung nicht." Carstensen schießen Tränen in die Augen. Die Abgeordneten erheben sich, applaudieren, diesmal auch SPD-Chef Ralf Stegner, der nach Carstensens Abschiedsrede im Landtag vor gut einem Monat mit vielen Genossen keine Hand gerührt hatte.
Albig, der damals über Stegner empört war, zollt Carstensen nicht nur Respekt, sondern überreicht dem Hobby-Imker auch ein Abschiedsgeschenk: "Dr. Lampes Bienenzucht", die Originalausgabe von 1909, selbst im Internet bestellt. In anderen Landesparlamenten mag ein solcher Umgang miteinander selbstverständlich sein, in Schleswig-Holstein, wo Stegner und Carstensen den ohnehin tiefen Graben zwischen SPD und CDU weiter ausgehoben haben, wird Albigs Friedensrede von einigen Abgeordneten als Neuanfang oder zumindest als Chance dafür gesehen. "Ich bin Herrn Albig sehr dankbar", sagt Carstensen später.
+++ Stimmen zur Wahl von Torsten Albig +++
Eine halbe Stunde vorher, vor dem Wahlakt, ist die Spannung im Landeshaus mit Händen zu greifen. Albig versichert in Mikros und Kameras, dass Geschichte sich nicht wiederhole und er anders als Heide Simonis 2005 alle Stimmen von SPD, Grünen und SSW erhalten werde. Polit-Pensionärin Simonis, die vor dem Plenarsaal Interviews gibt, glaubt ebenfalls nicht an einen neuen "Heide-Mord", spekuliert dann aber fröhlich über ein mögliches Ende der Dänen-Ampel. "Es müsste dann wohl Neuwahlen geben."
Der Kontrast zum 17. März 2005 hätte nicht größer sein können. Erschüttert musste SPD-Amtsinhaberin Simonis damals viermal vom Landtagspräsidenten hören, dass es nicht reichte. In vier Durchgängen versagte ihr ein bis heute unbekannter Abweichler die Stimme. Der Schock über den „Heide-Mord“ saß tief bei SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren wollte. Der damalige CDU-Spitzenkandidat Carstensen feixte mit seinen Parteifreunden über die Simonis-Niederlage, die ihn auf den Stuhl des Ministerpräsidenten brachte. Der 65 Jahre alte Carstensen, der ab 2005 eine CDU/SPD-Regierung führte und ab 2009 eine schwarz-gelbe, verfolgte am Dienstag einsam auf der Regierungsbank die Abstimmung, während seine frühere Rivalin Simonis (68) in einem Zuschauerraum mitzitterte.
Albig wird im Plenarsaal als erstes aufgerufen, geht locker in die Wahlkabine und wirft seinen Stimmzettel kurz danach resolut in die Wahlurne. Auf seinem Parlamentssitz, direkt neben Stegner, kann er seine Nervosität nur schwer bändigen. Immer wieder reibt er mit einem Finger am Nasenflügel, faltet dann die Hände und atmet durch. Auf der Tribüne drückt seine Familie die Daumen, Ehefrau Gabriele, 48, und Sohn Jan-Henrik, 19, der gerade an der Kieler Waldorfschule sein Abitur gemacht hat. Tochter Hannah, 14, fehlt entschuldigt. Sie ist auf Klassenreise.
Als Letzter wirft Lars Winter (SPD) seinen Stimmzettel ein. Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) unterbricht die Sitzung. Albig nutzt die Zeit, um in einer Ecke des Plenarsaals mit seinen designierten Ministern und Staatssekretären zu plaudern. Schlie macht es spannend, gibt formal korrekt als erstes bekannt, dass von den 69 Stimmen eine ungültig sei. Eine Schrecksekunde später bricht in der neuen Koalition Jubel aus. Albig bekommt neben den 35 Stimmen, die SPD, Grüne und SSW zusammenbringen, zwei weitere, offenbar aus Reihen der Piraten. Bei ihnen hatte Albig am Vorabend um Unterstützung geworben. Und just zwei Piraten klatschen mit, nachdem Schlie auch das Restergebnis (30 Neinstimmen, eine Enthaltung) preisgegeben hat.
+++ Panne bei Übertragung +++
Seinen Amtseid legt Albig mit Gottesformal ab. "Das ist ein sehr bewegender Moment", sagt er in seiner ersten Amtsrede, die er nach dem Dank an Carstensen mit einem flotten Spruch beendet: "Ich muss jetzt arbeiten." Kurz danach ernennt Albig seine sieben Minister, mit denen er umgehend die erste Kabinettssitzung abhält. Diskutiert wird auch darüber, wie der im Wahlkampf versprochene Sparbeitrag der Regierungsriege umgesetzt werden kann. Albig bekräftigt, dass er "auf zehn Prozent oder mehr" seines Jahreseinkommens von rund 150 000 Euro verzichten will.
Albig gab auch ganz offen zu, dass er während der Wahl an Heide Simonis dachte. "Wenn sie sich vornehmen, nicht an rosafarbene Elefanten mit Pudelmütze zu dneken, ist doch klar, was Sie im Kopf haben", sagte Albig der "Bild"-Zeitung.
Eine Verschnaufpause ist Albig nicht vergönnt. Auf seinem Handy trudeln immer neue SMS ein, unter anderem von seinem Ex-Chef Peer Steinbrück. Heute wird Albig im Landtag seine erste Regierungserklärung halten, darin nochmals die Ziele der Dänen-Ampel beschreiben. Gleich im Anschluss an die Debatte macht er sich auf den Weg nach Berlin, um am Donnerstag die Konferenz der Ministerpräsidenten zu leiten und am Freitag für Schleswig-Holstein im Bundesrat Flagge zu zeigen. Der Auftritt in Berlin schreckt den Ex-Sprecher von drei ehemaligen Bundesfinanzministern nicht. "Auf der Bühne der Bundeshauptstadt kenne ich mich bestens aus."
Mit Material von dpa