ehr als 1200 Polizisten durchsuchten unter der Regie der Staatsanwaltschaft Kiel zeitgleich Bordelle, Kneipen und Wohnungen, die dem verzweigten Imperium der Rocker-Organisation zugerechnet werden. Dabei handelt es sich um 89 Adressen im Raum Kiel, Hanebuths Haus in Bissendorf und die Wohnung eines Kieler Rockers in Hamburg. Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass ein vermisster Mann im Fundament einer Halle in Altenholz einbetoniert ist.

Kiel/Hannover. Der Hubschrauber kam mit dem Sonnenaufgang. Er flog tief über dem beschaulichen Örtchen Bissendorf-Wietze nördlich von Hannover. Über einem mit Stacheldraht gesicherten Anwesen senkte er sich unter lautem Dröhnen der Rotoren bis zwischen die hohen Bäume. Aus den Luken seilten sich maskierte und schwer bewaffnete Elitepolizisten der Anti-Terror-Einheit GSG 9 in den Garten ab. Sie stürmten durch den Garten auf die Villa zu, die im Zentrum des Anwesens steht. Dass die Polizei nicht einfach klingelte, hat nach Ansicht von Ermittlern einen guten Grund: Das Haus gehört Frank Hanebuth, dem mutmaßlich mächtigsten Hells Angel Deutschlands, zumindest aber des Nordens.

Die Beamten erschossen Hanebuths Hund. Kollegen drangen durch das Holztor des mit Stacheldraht gesicherten Anwesens. Sechs Stunden später verließen sie das Haus wieder - mit Koffern und Rucksäcken voller Unterlagen, Computern und Datenträgern.

+++ GSG 9 stürmt Haus von Hells-Angels-Boss +++

Die Aktion war Teil der größten Razzia gegen norddeutsche Hells Angels, die es je gegeben hat. Mehr als 1200 Polizisten durchsuchten unter der Regie der Staatsanwaltschaft Kiel zeitgleich Bordelle, Kneipen und Wohnungen, die dem verzweigten Imperium der Rocker-Organisation zugerechnet werden. Dabei handelt es sich um 89 Adressen im Raum Kiel, Hanebuths Haus in Bissendorf und die Wohnung eines Kieler Rockers in Hamburg. Fünf führende Rocker wurden verhaftet. Ihnen wird Erpressung, Körperverletzung, Menschen- und Waffenhandel sowie Korruption vorgeworfen. Die Verdächtigen sind Mitglieder des seit Januar verbotenen Hells-Angels-Charters Kiel. Zwei ihrer Vereinskollegen, die bereits im Gefängnis sitzen, erhielten neue Haftbefehle. Im Vorwurfskomplex geht es auch um einen mutmaßlichen Mordfall.

Die Suche nach einem verschwundenen Kieler Familienvater ist auch einen Tag nach der bislang größten Razzia gegen Hells Angels in Norddeutschland fortgesetzt worden. Einsatzkräfte scannten eine Lagerhalle des Rockerclubs mit speziellen Geräten, wie die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß am Freitag auf dapd-Anfrage sagte. Auch Chemikalien sollten bei der Suche zum Einsatz kommen. Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass der Mann im Fundament der Halle in Altenholz (Kreis Rendsburg-Eckernförde) einbetoniert ist.

Der 47-Jährige war am 30. April 2010 verschwunden. Nach ihm war 2011 auch in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ gesucht worden. Mehr als 1.200 Beamte hatten am Donnerstag zahlreiche Bordelle, Kneipen und Wohnungen der Hells Angels durchsucht.

+++ Größter Polizeieinsatz könnte auch Mordfall aufklären +++

Auch dem offenbar schwunghaften Waffenhandel der Kieler Hells Angels wollen die Ermittler mit der Razzia ein Ende setzen. Allein gestern beschlagnahmte die Polizei sieben Handfeuerwaffen, eine Maschinenpistole, ein Gewehr, 900 Patronen und mehrere Magazine, zudem 25 Messer und zwei Totschläger. Fündig wurden die Beamten auch bei Waffenkäufern, darunter "Personen mit rechtsradikalem Hintergrund". Hanebuth streitet ab, von den Delikten gewusst zu haben, die die Staatsanwaltschaft ihm anlastet. "Er weist die Vorwürfe als abwegig zurück", sagte Hanebuths prominenter Anwalt Götz von Fromberg.

Er kenne die Männer aus Kiel gar nicht, sagte der Rocker nach Angaben des Advokaten. Frank Hanebuth gilt als der einflussreichste deutsche Rockerchef, sein langjähriger Rechtsanwalt ist Götz von Fromberg, der wiederum einer der besten Freunde von Altkanzler Gerhard Schröder ist. Und so kennen sich auch Schröder und Hanebuth von privaten Begegnungen.

+++ Anti-Terror-Einheit GSG 9 +++

Die Staatsanwaltschaft Kiel ließ offen, was genau Hanebuth vorgeworfen wird. "Er spielt in zwei, drei Sachverhalten eine Rolle", sagte Oberstaatsanwältin Birgit Heß. Einsatzleiter Gutt bestätigte, dass die Polizei bei der Durchsuchung des Hanebuth-Anwesens auf mehrere Hunde stieß und ein Tier erschoss. "Wir wollten nicht, dass die Hunde außer Kontrolle geraten und Menschen verletzen."

Ansonsten sei der gesamte Einsatz, der 14 Tage vorbereitet worden sei, friedlich abgelaufen. "Wir waren so schnell, dass kein Widerstand möglich war." Hanebuths Anwalt übte Kritik an Art und Umfang des Aufschlags: "Der erste Zugriff war sehr massiv und unverhältnismäßig." Die Polizisten hätten Türen eingetreten. Mehrere Anwohner des Nobelvororts, dessen Abgeschiedenheit auch Scorpions-Gründer Klaus Meine und Sänger Heinz Rudolf Kunze schätzen, zeigten sich erleichtert, dass die Behörden gegen Hanebuth vorgehen, auch wenn der zuletzt sichtlich bemüht war, sich ein bürgerliches Image zuzulegen. So hatte Frank Hanebuth im vergangenen Jahr angekündigt, sich mit seiner Sicherheitsfirma aus dem Hannoveraner Rotlichtviertel am Steintor zurückzuziehen. Diese Ankündigung hat er nach Erkenntnissen der Polizei auch wahr gemacht. Hannovers stellvertretender Polizeipräsident Thomas Rochell sagt dennoch: "Inwieweit er auf dem Weg in die Bürgerlichkeit ist, treibt mich nicht um."

Bei seinen Nachbarn hat sich der Höllenengel zuletzt im vergangenen Jahr unbeliebt gemacht: Seine Wachhunde waren ausgerissen und hatten bei Beißattacken fünf Menschen aus dem Ort verletzt.

Die Razzia gegen norddeutsche Hells Angels sollte nach Überzeugung seines Rechtsanwaltes vor allem den Rocker-Chef Frank Hanebuth diskreditieren. „Man wollte ganz klar an ihn ran. Aber in Hannover hat man nichts gegen ihn in der Hand, deswegen ist man den Umweg über Kiel gegangen“, sagte Anwalt Götz von Fromberg am Freitag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd. Die Annahme, dass Hanebuth etwas mit den Vorgängen in Schleswig-Holstein zu tun habe, sei aber „völliger Quatsch“.

Es passe „aber wohl nicht in das Weltbild“, dass ein so mächtiges Hells-Angels-Mitglied „nicht straftätig ist“, sagte Fromberg. Er kündigte an, die Akten genau zu prüfen. Hanebuth habe sich nichts vorzuwerfen. Deshalb sei die Aktion in dessen Privathaus, das von einer Spezialeinheit gestürmt worden war, auch völlig überzogen gewesen.

Mit Material von dpa