Schleppende Verhandlungen: In der ersten Sitzung der Koalitionsrunde konnten sich die Parteien nicht auf ein Finanzkonzept einigen.

Kiel. In Schleswig-Holstein sind die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und SSW schleppend angelaufen. In der ersten Sitzung der Koalitionsrunde, die sich im Kieler Landeshaus über fünf Stunden bis Mittwochabend hinzog, konnten die Parteien sich noch nicht auf ein Finanzkonzept einigen. Das solle in einer zweiten Runde zum Abschluss der Verhandlungen Anfang Juni nachgeholt werden, sagte SPD-Landeschef Ralf Stegner. Die Koalition sei aber auf einem guten Weg. Grüne und SSW bestätigten das.

+++ Quo vadis, Kiel? +++

Die drei Parteien verständigten sich, in Schleswig-Holstein künftig nur noch für das kommende Jahr einen Landeshaushalt aufzustellen. Bisher gibt es Zwei-Jahres-Etats. Einigen konnte sich die Koalition auch darauf, dass die Schuldenbremse (Abbau der Neuverschuldung bis 2020) eingehalten und "strukturelle Mehrausgaben" (Wahlgeschenke) „gegenfinanziert“ werden sollen. Umstritten blieb die Forderung der Grünen, jede Mehrausgabe „vollständig“ durch eine gleich hohe Einsparung zu decken. „Unser Ziel ist nicht, dass wir die Musterknaben in Deutschland werden“, betonte Stegner. Das Land müsse nicht 2017, sondern erst 2020 einen ausgeglichenen Haushalt haben. SSW-Fraktionschefin Anke Spoorendonk nickte, Grünen-Landeschefin Eka von Kalben nicht. Offen blieb auch, ob die Dänen-Ampel für 2012 einen Nachtragshaushalt aufstellen will. Das wäre nötig, um die von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Streichung von 300 Lehrerstellen im Sommer rückgängig zu machen. SPD, Grüne und SSW hatten das im Wahlkampf beschlossen.

Den Kurs in der Schulpolitik wollen die Parteien in der nächsten Koalitionsrunde am Dienstag abstecken. Weitere Knackpunkte sind die Verkehrspolitik und Schleswig-Holsteins Verhältnis zu Hamburg. Die Grünen lehnen den Weiterbau der A20 ab, der SSW einen Nordstaat. Die erste Drei-Parteien-Koalition in Schleswig-Holstein will ihr Regierungsprogramm am 3. Juni unter Dach und Fach haben und am 12. Juni Torsten Albig (SPD) im Landtag zum Ministerpräsidenten wählen.

Kern des Finanzkonflikts ist die Frage, wie stark eine Dänen-Ampel den schwarz-gelben Sparkurs aufweicht. Die CDU/FDP-Koalition hatte mehr gespart als nach der Schuldenbremse nötig, um schon vor 2020 ausgeglichene Landeshaushalte zu erreichen. SPD, Grüne und SSW könnten nun das durch die Schuldenbremse festgelegte Limit an neuen Krediten ausschöpfen, etwa im nächsten Jahr bis zu 920 Millionen Euro mehr ausgeben als einnehmen. Das sind rund 140 Millionen Euro mehr als nach den Sparplänen von CDU und FDP. Mit dem Ausschöpfen des Kredit-Limits würden allerdings auch Schleswig-Holsteins Schulden (derzeit gut 27 Milliarden Euro) und damit die Zinszahlungen (derzeit eine Milliarde Euro) stärker wachsen als geplant. Die Grünen bremsen deshalb, SPD und SSW wollen den Spielraum nutzen.

Wellen schlugen die Verhandlungen bis Bayern. Aus München giftete die CSU-Landtagsfraktion, dass SPD, Grüne und SSW den schwarz-gelben Sparpfad verlassen wollen und damit auch Bayern schaden. Das Alpenland ist größter Einzahler in den Länderfinanzausgleich, aus dem auch Schleswig-Holstein Geld erhält. Zum Auftakt der Verhandlungen meldete sich auch die Wirtschaft zu Wort. Die Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein forderte gemeinsam mit den IHKs Bremerhaven, Oldenburg und Stade sowie der Handelskammer Bremen, den Bau der Autobahn 20 voranzutreiben. Die Grünen lehnen das bisher ab, dürften in den Verhandlungen aber beidrehen.

Die Regierungsposten wollen SPD, Grüne und SSW erst am Ende der Koalitionsgespräche besetzen. Fast alle Kandidaten für Spitzenposten saßen aber mit am Verhandlungstisch, neben Albig (SPD, Regierungschef) auch Andreas Breitner (SPD, Innenminister), Brigitte Fronzek (SPD, Justizministerin), Monika Heinold (Grüne, Finanzministerin), Robert Habeck (Grüne, Energieminister) und Lars Harms (SSW, Wirtschaft). Aus der möglichen Kabinettsriege fehlte damit nur die mögliche Schulministerin Waltraud Wende. Die Präsidentin der Uni Flensburg ist parteilos. Andere Politiker aus der Runde werden als mögliche Staatssekretäre gehandelt, darunter die Landtagsabgeordneten Martin Habersaat (SPD) und Jürgen Weber (beide SPD). Alle Parteidelegationen werden zudem von Mitarbeitern und Beratern unterstützt, so die SPD etwa von Ex-Innen-Staatssekretär Ulrich Lorenz. Er könnte Chef der Staatskanzlei und damit Albigs Manager der Macht werden.

Von den 36 Politikern, die eine Dänen-Ampel schmieden wollen, kommen nur vier aus dem Hamburger Umland. Für die SPD sitzen Elmshorns Bürgermeisterin Brigitte Fronzek, 59, und der Landtagsabgeordnete Martin Habersaat, 35, aus Barsbüttel mit am Tisch. Für die Grünen verhandeln Landeschefin Eka von Kalben, 47, aus Borstel-Hohenraden (Kreis Pinneberg) und der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, 41, aus Mölln. Beim SSW kommen sämtliche Verhandlungsführer aus dem Landesteil Schleswig.

Für die Koalitionsverhandlungen gibt es einen engen Zeitplan. Die 36er-Runde will weitere siebenmal tagen, am 3. Juni den Koalitionsvertrag beschließen. Die Feinarbeit übernehmen sechs Arbeitsgruppen, und zwar zu den Themen Haushalt und Finanzen, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Energie und Umwelt, Arbeit und Soziales sowie Innenpolitik und Recht. Jede Gruppe hat neun Mitglieder, je drei von SPD, Grüne und SSW. Der Koalitionsvertrag soll am 4. Juni von den Vorsitzenden der drei Parteien unterzeichnet und vorgestellt werden. Am 9. Juni wollen SPD, Grüne und SSW auf Parteitagen die Zustimmung ihrer Basis einholen, SPD und Grüne in Neumünster, der SSW in Flensburg. Geht alles glatt, soll Torsten Albig drei Tage später im Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Am Tag drauf will Albig in seiner ersten Regierungserklärung erläutern, wo die Reise für Schleswig-Holstein hingeht.