Kein Neuling ist bisher bereit, für den Vorsitzenden seinen Parlamentssitz zu räumen
Kiel. Die CDU hat die Landtagswahl in Schleswig-Holstein formal zwar gewonnen, praktisch aber fast alles verloren. Die schwarz-gelbe Koalition ist Geschichte, für eine neue Regierung wird die CDU derzeit nicht benötigt, und als ob all das nicht reicht, steht die Union plötzlich ohne ihren Hoffnungsträger da. Jost de Jager, Ex-Spitzenkandidat und Noch-Wirtschaftsminister, verfehlte den Sprung in den Landtag und damit vorerst die Chance, als neuer Oppositionsführer Front gegen eine Dänen-Ampel zu machen und die CDU so eines Tages wieder in die Regierung zu führen.
De Jager, 47, fügte sich in sein Schicksal, beklagte "das etwas unklare Ergebnis der Wahl", meldete für die weiterhin stärkste Partei in Schleswig-Holstein aber nur halbherzig einen Regierungsanspruch an.
Vor der Parlamentstür bleibt de Jager, weil er sich verkalkulierte. Der Minister, der im August 2011 für den Ex-Spitzenpolitiker Christian von Boetticher einsprang, beanspruchte damals keinen Wahlkreis, begnügte sich mit dem Spitzenplatz auf der Landesliste. Sein Pech: Die CDU gewann so viele Wahlkreise (22 von 35), dass die Landesliste wie schon 2009 nicht zum Zug kommt. Das kostete einen weiteren CDU-Promi den Job. Landtagspräsident Torsten Geerdts, 49, verlor seinen Wahlkreis Neumünster und tauchte gestern ab.
In der CDU glühten derweil die Telefondrähte, um die Führungskrise abzuwenden. Bis zum Abend war allerdings keiner der 22 neuen CDU-Landtagsabgeordneten bereit, seinen Stuhl zugunsten des Spitzenkandidaten zu räumen. Gestritten wurde vielmehr um das Erbe von de Jager und Geerdts, zumal die CDU nur noch wenige gut dotierte Spitzenjobs zu vergeben hat.
Chancen auf den Fraktionsvorsitz haben gleich vier Abgeordnete - die beiden Noch-Minister Klaus Schlie (Innen), 58, und Rainer Wiegard (Finanzen), 62, Landesgeschäftsführer Daniel Günther, 38, und Amtsinhaber Johannes Callsen, 46. Er war nach dem Rücktritt von Boettichers eingesprungen und könnte als Übergangskandidat vorerst die Geschäfte weiterführen. Landtagspräsident könnte Wiegard werden.
Im Landeshaus wurde zugleich nicht ausgeschlossen, dass de Jager in einigen Wochen doch noch zum Zug kommt und damit zum großen Gegenspieler des absehbar neuen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) wird. Ansonsten bleibt de Jager nur sein Amt als CDU-Landesvorsitzender, der ehrenamtlich arbeitet.
Existenziell ist der Jobverlust für de Jager wohl nicht. Der Journalist hat nach vier Jahren als Staatssekretär und drei als Minister erste Pensionsansprüche erworben und Aussicht auf einen Job in der norddeutschen Wirtschaft. Darben muss auch Geerdts nicht. Der Industriekaufmann saß 20 Jahre im Landtag und hat zumindest Anspruch auf Übergangsgelder für den Wechsel in das "normale" Berufsleben.