Hamburg. Verbraucher können über ein Portal ihren Stromverkäufer nach Region und Erzeugungsart auswählen – und wissen so, woher ihr Strom kommt.
Wenn sich Windrad Carl in den Vier- und Marschlanden dreht und Strom produziert, freut das nicht nur seine Besitzer Klaus Soltau und Jens Heidorn, Geschäftsführer des Bergedorfer Energieproduzenten NET Windenergie GmbH.
Dank neuartiger Direktvermarktung profitieren auch Endkunden wie Familie Reuver in Bergedorf. Denn die bekommen Carls Windenergie über den Dienstleister Enyway direkt ins Haus geliefert. Das Unternehmen regelt das Vertragliche und gleicht Angebotslücken, etwa bei Flaute oder Wartung, durch zugekaufte regenerative Energie aus.
„Unser Lastprofil wurde von Enyway mit dem Bezugsprofil eines Standardkunden verglichen“, erklärt Jens Heidorn. „Wir können etwa 50 Prozent direkt aus unserer Anlage beliefern. Die andere Hälfte wird durch Wasserkraft von der Strombörse ausgeglichen.“
Mit Menschen agieren statt mit Konzernen
Die Idee liegt im Trend. „Die Menschen wollen wissen, woher die Dinge kommen, die sie beziehen. Der persönliche, direkte Draht ist wichtig – und das Thema Sharing.“
Man möchte so viel wie möglich teilen mit anderen und lieber mit Menschen interagieren als mit Konzernen, sagt Enyway-Geschäftsführerin Varena Junge.
Das sehen auch die Reuvers so. Zwar zahlen sie nach dem Wechsel zu Windrad Carl zwei bis drei Euro pro Monat mehr, „aber dafür wissen wir jetzt genau, wohin unser Stromgeld fließt, und sind sicher, dass es weiter für den Ausbau erneuerbarer Energien eingesetzt wird“, betont Birte Reuver – zusätzlich könnte damit auch noch die lokale Wirtschaft unterstützt werden.
Portal macht die Projektvielfalt sichtbar
Rund 1,5 Millionen Energie-Erzeuger gibt es hierzulande bereits, allerdings ist die Versorgung derzeit noch weitgehend zentral organisiert – und lässt viele Erzeuger außen vor.
Über die Enyway-Plattform kann sich das nun ändern. „Die Produzenten verkaufen direkt an Kunden. Wir sind nicht Mittler, sondern stellen nur die Plattform, über die das Geschäft abgewickelt wird, und bieten Dienstleistungen wie etwa den Kundenservice an“, so Junge.
Über die Plattform können Interessenten also einen Stromverkäufer nach Region, Profil, Erzeugungsart oder Preis suchen und mit diesem dann den Vertrag abschließen. „Dazu reicht eine grobe Schätzung des Strombedarfs. Wir übernehmen dann Kündigung und Umzug fristgerecht“, sagt Varena Junge.
Der Wechsel sei kein Problem gewesen, bestätigt Birte Reuver. „Wir haben uns den Stromanbieter auf der Enyway-Website ausgesucht, alles andere haben dort die Mitarbeiter übernommen. Einen neuen Zähler oder andere Technik brauchte es nicht.“
Mieterstrom-Modell noch sehr komplex
Die Bergedorferin findet es klasse, dass das Thema nun endlich ein Gesicht bekommt. „Über das Portal kann man gut sehen, wie viele verschiedene Methoden es gibt, Strom zu erzeugen. Man kann überdies die Projektvielfalt unterstützen.“
Ein überfälliges Angebot, findet auch Windmüller Heidorn: „Seit 25 Jahren fragen uns Kunden, ob wir ihnen auch Strom verkaufen. Wir mussten das bislang immer verneinen.“
Auf lokale Produktion setzt auch der sogenannte Mieterstrom – also die Direktvermarktung von selbst produziertem Solarstrom auf Mietshäusern. Allerdings ist das Verfahren komplex und läuft daher nur langsam an.
Nicht einmal ein Prozent des Solarpotenzials deutscher Mietshäuser wird bislang so genutzt, schätzen der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW). „Wohnungsbauunternehmen drohen noch immer gravierende Steuernachteile, wenn sie ihren Mietern Solarstrom anbieten“, erläutert GdW-Präsident Axel Gedaschko.
EnergieNetz Hamburg zählt zu den Pionieren
Die EnergieNetz Hamburg realisiert Mieterstrom-Projekte deshalb als externer Dienstleister. Die Genossenschaft hat beispielsweise auf dem Handwerkerhof Ottensen eine Fotovoltaik-Anlage installiert und liefert Solarstrom direkt an die Gewerbemieter im Haus. Zur Vollversorgung wird Ökostrom zugekauft.
Eine Anlage betreiben die Energie-Pioniere auch auf dem Dach und an den Fassaden eines Neubaus der Altoba in der Finkenau, um den Bewohnern Mieterstrom anbieten zu können. „Die Anlage ist aber erst in Teilen in Betrieb gegangen“, heißt es auf Nachfrage bei der Altoba.
Etwas weiter ist man bei der Wohnungsgenossenschaft von 1904. „Wir arbeiten in Wandsbek bei einem Neubauprojekt mit einem Partner zusammen, der dort ein BHKW betreibt“, teilt Vorstand Monika Böhm mit. Der verkaufe den „Mieterstrom“ an Mitglieder.
Böhm: „Der Strom ist circa 13 Prozent günstiger als auf dem freien Markt, da die Netzentgelte entfallen.“ Im ersten Haus des Projekts hätten bereits 93 Prozent der Mitglieder einen Stromvertrag mit dem Partner abgeschlossen.
Trotz dieser Vorteile und positiv ausfallender Umfragen spürt Enyway-Geschäftsführerin Junge noch viele Berührungsängste. „Dabei kann gar nichts schiefgehen, denn bei Problemen fällt man automatisch in die Grundversorgung.“