Norwegen und Island sind neben Japan die einzigen Nationen, die sich über das Fangmoratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) hinwegsetzen und weiterhin Großwale kommerziell bejagen.
Hamburg Durch ein Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag liegt die japanische Waljagd im Südpolarmeer derzeit auf Eis, doch auf der Nordhalbkugel läuft das blutige Geschäft weiter auf Hochtouren. Neben vier japanischen Fangschiffen, die im Nordwestpazifik aktiv sind, starten auch Walfänger aus europäischen Häfen: Norwegen und Island sind neben Japan die einzigen Nationen, die sich über das Fangmoratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) hinwegsetzen und weiterhin Großwale kommerziell bejagen. Sie lassen es zu, dass bis zu 1515 Zwerg- und 154 Finnwale in diesem Sommer im Nordatlantik getötet werden.
Das norwegische Fischereiministerium genehmigt eine jährliche Quote von 1286 Zwergwalen, die 2013 allerdings nicht ausgeschöpft wurde – im Vorjahr wurden 590 Tiere erlegt. Seit 1987 (ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Moratoriums) haben norwegische Fangschiffe ebenso viele Wale erlegt wie die Japaner in der Antarktis, jeweils rund 11.000 Tiere. „Die norwegische Regierung fördert seit einigen Jahren den Konsum von Walfleisch, das Interesse daran ist wieder gewachsen“, sagt Astrid Fuchs von der Organisation WDC (Whale and Dolphin Conserva-tion) mit Sitz in München.
Verschiedene Marketingmaßnahmen sollen den Norwegern und Touristen Walfleisch schmackhaft machen. So werden auf beliebten Musikfestivals Walburger und Walsushi angeboten. Im Januar dieses Jahres schossen die Marketingfachleute allerdings über das Ziel hinaus, als sie auf der Grünen Woche in Berlin marinierte Walhäppchen mit Blaubeer- oder Chili-Dip zum Portionspreis von zwei Euro unter das Volk bringen wollten.
Der Im- und Export von Walprodukten ist nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen (Cites) weltweit geächtet. Nur Island, Norwegen und Japan haben dagegen einen Vorbehalt angemeldet und dürfen untereinander handeln. Nachdem WDC und die „Berliner Zeitung“ die illegalen Häppchen auf der Landwirtschaftsmesse entdeckt hatten, schritt der Zoll ein und beschlagnahmte knapp drei Kilo Walfleisch. Gut vier Kilo hatten Messebesucher bereits verspeist.
Immerhin liefere Norwegen recht gutes Datenmaterial über die Zwergwalbestände vor seinen Küsten, sagt Fuchs. „Damit will das Land beweisen, dass die Fangaktivitäten nachhaltig sind, die Bestände also nicht übernutzt werden.“ Nach Einschätzung der Internationalen Naturschutzunion IUCN ist für die Art eine „Gefährdung anzunehmen“, sie verweist jedoch auf erhebliche Datenlücken.
Diese gibt es zum Beispiel rund um Island. Wie in Norwegen gehen hier umgerüstete Fischerboote auf Jagd. Doch sie finden immer weniger Wale. 2013 hätten sie 216 erlegen dürfen, landeten aber nur 35 Tiere an. „Die Zwergwalpopulation hat sich offenbar verlagert“, sagt Astrid Fuchs; die Ursache sei ungeklärt. „Walbeobachter erzählen uns, dass sie kaum noch Wale sehen. Möglicherweise fliehen die Tiere verstärkt vor den Booten. Sie können Walfänger nicht von Touristenbooten unterscheiden. Neugierige Tiere, die sich den Fangschiffen nähern, werden zuerst geschossen.“
Auch auf Island werde die Werbetrommel für Walfleisch gerührt, sagt Fuchs. Gern wird Fremden die „isländische Spezialität“ verkauft – „in einer Umfrage von 2010 gaben 40 Prozent der befragten Touristen an, während ihres Aufenthaltes in Island Walfleisch probiert zu haben“, steht in einem WDC-Report zum globalen Handel mit Walprodukten. In mehr als 100 Restaurants, Geschäften und anderen Gastronomiebetrieben werde Walfleisch angeboten, so der Bericht, als Steaks oder mariniert, als Kebab oder Carpaccio.
Im Dezember 2013 hatte Island die neuen Fünf-Jahres-Quoten für den Walfang veröffentlicht. Danach dürfen bis 2018 jährlich bis zu 229 Zwerg- und 154 Finnwale getötet werden. Gerade die Finnwaljagd stößt auf internationale Kritik. „Die IUCN stuft die Art als gefährdet ein. Das ist die zweithöchste Gefährdungskategorie der Roten Liste“, sagt Dr. Sandra Altherr von der Münchener Artenschutzorganisation Pro Wildlife. „Anders als Zwergwale, die nur geschossen werden, wenn sich den Fischern gerade die Gelegenheit dazu bietet, betreibt der Fischereimogul Kristjan Loftsson gezielt Jagd auf Finnwale, mit vier Spezialschiffen“, sagt Altherr.
Loftsson ging schon 1956 als 13-Jähriger mit seinem Vater auf Waljagd. Im Internet wird er mit dem Satz zitiert: „Whales are just another fish for me, an abundant marine resource, nothing else“ (Wale sind nur andere Fische für mich, eine reichlich vorhandene Meeresressource, mehr nicht). Hier irrt Loftsson gleich zweimal: Wale sind Säugetiere, keine Fische. Und viele von ihnen sind alles andere als reichlich vorhanden, sondern als Art bedroht. Auch Loftssons Beutetiere, die Finnwale.
Das isländische Finnwalfleisch ist ein reines Exportprodukt – mit einem Hauptabnehmerland: Japan. Meist wird das Fleisch über europäische Häfen, etwa Rotterdam oder Hamburg, nach Asien verschifft. Denn solange die Ware nur im Transit EU-Boden berührt und nicht durch den Zoll geht, ist der Umschlag des Fleisches in den Häfen nach dem Cites-Abkommen legal. Walschützern ist das ein Dorn im Auge.
Am 5. Juli 2013 starteten Greenpeace-Aktivisten im Hamburger Hafen eine Protest-Aktion gegen die „Cosco Pride“, die sechs Container mit isländischem Finnwalfleisch geladen hatte. Der Zoll schritt ein, gab die Sendung aber frei, als die erforderlichen Ausfuhrdokumente nachgereicht worden waren. Als Reaktion auf den Vorfall forderte der damalige Umweltminister Peter Altmaier (CDU) die deutschen Hafenbetreiber auf, freiwillig auf den Transit von Walfleisch zu verzichten. „Deutsche Häfen sollten kein attraktiver Ort für den Umschlag von Walfleisch sein!“, schrieb er.
Die isländische Finnwaljagd veranlasste jetzt US-Präsident Barack Obama, eine offizielle Mitteilung an den US-Kongress zu richten, in der er darüber informierte, den diplomatischen Druck auf Island wegen der fortgesetzten Finnwaljagd erhöhen zu wollen. Obama kritisierte die Abschlussquote von 154 Tieren und verweist auf die Einschätzung der IWC, dass im Nordatlantik jährlich maximal 46 Tiere getötet werden dürften, um den Bestand nicht zu gefährden.
Auch die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Island könnten sich abkühlen, hofft Astrid Fuchs: „In sechs Monaten sollen bei fortgesetzter Waljagd amerikanische Firmen aufgefordert werden, ihre Kooperationen mit isländischen Partnern zu prüfen.“ Ein führendes Fischunternehmen der USA, High Liner Foods, habe angekündigt, keine Produkte mehr von isländischen Firmen beziehen zu wollen, die mit dem Walfang in Verbindung stehen: Die Verträge mit dem Fischkonzern HB Grandi sollen auslaufen – dessen Vorstandsvorsitzender ist Kristjan Loftsson.
In Island selbst wachse die Kritik am Walfang, sagt Fuchs. So haben neun Mitglieder des isländischen Parlaments gerade ein Gutachten beantragt, das untersucht, wie sich die Walfangwirtschaft, aber auch deren Folgen für den Tourismus und für das isländische Image gesamtwirtschaftlich auswirken.
Waljäger Kristjan Loftsson startete Ende März ein besonderes Manöver: Er ließ 2000 Tonnen gefrorenes Walfleisch auf dem Frachter „Alma“ direkt nach Japan verschiffen, unter Umgehung der europäischen Häfen. Auch den Panama- und Suezkanal meidete das Schiff, es nahm den Weg um Südafrika. Walschützer rätseln, ob Loftsson mit dem ungewöhnlich großen Transport dem internationalen Druck ausweichen oder zur neuen Fangsaison die Lager räumen will. Dringend gebraucht wird die Lieferung in Japan wohl nicht. Nach WDC-Angaben sollen dort noch knapp 5000 Tonnen Walfleisch eingelagert sein.
Ebenfalls unklar ist die Zukunft des japanischen Walfangs. Das Land behält sich vor, das gerade in Den Haag als unwissenschaftlich gerügte Forschungsprogramm zum Walfang in der Antarktis zu überarbeiten und die Jagd wieder aufzunehmen. Und im Nordwestpazifik läuft die Fangsaison – in jedem Sommerhalbjahr sterben rund 200 Zwergwale durch japanische Harpunen.