Jeder Schritt über den Kalkstein im Einkaufszentrum ist ein Schritt über eine vergangene Zeit. Ammoniten zeigen sich von der schönsten Seite.
Sie schlummern im Steinboden der Europa-Passage. Und kaum ein Besucher in Hamburgs neuestem Einkaufstempel bemerkt sie: Überreste von Lebewesen, die vor über 140 Millionen Jahren lebten. Fossilien aus dem Jura-Marmor der Fränkischen Alb. Es sind Ammoniten und Belemniten. Meeresbewohner, sogenannte Marine Kopffüßer, die das große Aussterben der Arten vor 65 Millionen Jahren nicht überlebt haben. Beide Gruppen sind eng mit den Tintenfischen verwandt.
Neben diesen schneckenförmigen Abdrücken liegen versteinerte Korallen, Seeigel und Schwämme. Das urzeitliche Gestein ist ein Kalkstein, der im Lauf der Zeit durch die Ablagerung von Kalkschlamm und Tonmineralen entstanden ist.
Im Jura waren die Landmassen einst ganz anders verteilt als heute. Damals, als die heute versteinerten Tiere lebten, existierten mit Gondwana im Süden und Laurasia im Norden nur zwei gigantische Kontinente die gesamte Landmasse der Erde. Zwischen ihnen lag das Tethys-Meer, auch dort, wo sich heute Europa befindet. In diesen Wassermassen bauten Korallen und Schwämme riesige Riffe auf.
Ammoniten, Belemniten, Schnecken, Muscheln und Seeigel entwickelten sich zu den wichtigsten Bewohnern des Flachmeerbereichs. Dazu gesellten sich Knochenfische und im Wasser lebende Reptilien, zum Beispiel der Plesiosaurier, der Ichthyosaurier oder der Mosasaurier.
Das Zeitalter, in dem die mumifizierten Lebewesen der Europa-Passage das Urzeitmeer Tethys bevölkerten, gilt als die erste Blütezeit der Saurier. Das Klima war subtropisch-tropisch. Es gab keine vereisten Polkappen, und der Meeresspiegel lag etwa 100 Meter über dem von heute.
Ideal für die Meeresbewohner, um sich zu entfalten. Die Ammoniten und Belemniten nutzten diese Chance und passten sich den Lebensbedingungen an. Etwa 7000 Ammonitenarten werden heute unterschieden.
Ihr Körper besteht aus einem weichen Teil und einer Schale. Diese Schale hat eine vordere Wohnkammer und einen hinteren Bereich, bestehend aus mehreren Kammern. In der Wohnkammer lebte das Tier. Mit seinem Kopf stieß es hervor, um mit Mund und seinen Kiefern Nahrung zu erbeuten.
Vermutlich fraßen die Ammoniten Plankton und Aas. Der hintere Teil, das Phragmokon, diente ihrer Fortbewegung. Wenn die einzelnen Kammern mit Gas gefüllt wurden, stieg das Tier nach oben. Wurden sie geflutet, so sank es wie ein U-Boot nach unten. Gesteuert wurde der Vorgang über den Sipho, eine Art Gasleitung am äußeren Rand der Schale.
Ammoniten gab es bis zu einem Durchmesser von zwei Metern. Die Tiere der Europa-Passage sind etwa 15 Zentimeter groß. Ihre Strukturen sind hervorragend ausgebildet. Ein Blick nach unten auf den Marmorboden lohnt sich also beim Einkauf.
Die Ammoniten lebten nicht alleine. An ihrer Seite finden Geologen häufig Belemniten. Im Volksmund werden sie auch "Donnerkeile" genannt. Belemnites bedeutet "das Geschleuderte, der Blitz".
Der Name Donnerkeil verweist auf Geschosse des germanischen Donnergottes Thor, die er laut Sage zur Erde schleudert. Belemniten lebten in Schwärmen dicht unter der Wasseroberfläche. Wie die Ammoniten haben sie eine vordere Wohnkammer und einen hinteren gekammerten Teil, der zur Fortbewegung dient. Am Kopf hatten sie zehn Fangarme mit Haken, um sich vor Fressfeinden zu schützen und zu jagen. Eine waagerechte Schwimmhaltung garantierte ihnen eine kalkige Spitze, am Ende des Phragmokons. Sie wird als Rostrum bezeichnet. Das Rostrum ist häufig das einzige Überbleibsel eines Belemniten im Gestein, der "Donnerkeil".
Anhand seiner Größe und Form kann - wie bei den Jahresringen eines Baumes - das Alter des Tieres bestimmt werden. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Belemniten maximal ein Alter von vier Jahren erreichen konnten.
Für die Fossilienforschung und die Altersbestimmung von Gesteinskomplexen sind diese Hinweise von Bedeutung. F. A. Quenstedt, ein bekannter Fossilienforscher, formulierte 1849 den Satz: "Es gibt kein Fossil, dem namentlich das deutsche Volk solche Aufmerksamkeit zugewendet hätte, als die Belemniten."
Entstanden sind die Fossilien und das Gestein schließlich durch die Ausfällung von Kalkschlamm aus dem Tethyswasser. Die Sedimente wurden immer wieder von neuen Kalkschichten überlagert. Das Wasser wurde hinausgepresst, und der Schlamm verdichtete sich dadurch. Im Laufe der Zeit entstanden mehrere Lagen Gesteinsbänke mit Fossilienresten. Der gelb-braune Farbton der Bänke ist auf die Einlagerung von Eisenoxiden zurückzuführen.
Der Jura-Marmor ist der bekannteste deutsche Naturstein. Er wird in großen Blöcken in zirka 30 Steinbrüchen im Frankenland abgebaut. Die Blöcke werden in ein bis vier Zentimeter dicke Rohplatten zersägt und danach geschliffen und poliert und dann zum Beispiel als Bodenbelag verarbeitet.
In der Innenarchitektur wird der Jura-Marmor auch als Material für Wandverkleidungen, für Treppenstufen oder für Fensterbänke verwendet. Im Außenbereich findet das Material als Fassadenbekleidung für Massivbauten und Dekorationsstein Verwendung.
Zurück in die Europa-Passage: Jeder Schritt über die Kalksteine hier ist ein Schritt über eine längst vergangene Zeit. Eine Zeit, in der Dinosaurier die Landmassen der Kontinente und Weichtiere das Urmeer besiedelten. Ammoniten und Belemniten sind ausgestorben. Ihre Schönheit ist nur noch in Museen oder Natursteinarbeiten zu bewundern.
In Hamburg haben sie es sich zwischen Modeschmuck, Cafes und Textilläden gemütlich gemacht. Hier warten sie darauf, nach einem Millionen Jahre langen Schlaf erblickt und neu entdeckt zu werden.