Wissenschaftsforum: Die Suche nach Therapien verstärken - Ziel auch der frisch gekürten Körber-Preisträger 2004.
Weltweit sind sie die führenden Forscher ihres Gebietes, die Zusammensetzung des Teams ist so ideal wie einzigartig und ihre Pläne, um die Ursachen der Krankheit zu erkennen und Therapien zu entwickeln, sind pfiffig. So präsentierte Prof. Widmar Tanner, Mitglied des Kuratoriums des "Körber-Preises für die Europäische Wissenschaft", auf dem 25. Hamburger Wissenschaftsforum zum ersten Mal öffentlich die diesjährigen Gewinner des renommierten Körber-Preises. Es sind Prof. Kurt von Figura und fünf Kollegen. Die Teilnehmer des Forums, das Abendblatt, NDR 90,3 und Hamburg Journal veranstalteten und das in Kooperation mit der Körber-Stiftung stattfand, waren die Ersten, die den Koordinator des ausgezeichneten Projektes in der Podiumsdiskussion über "Was Gene über Krankheiten verraten" erlebten.
Bei den von den Preisträgern untersuchten Krankheiten handelt es sich um eine Gruppe erblicher Defekte, an deren Erstbeschreibung vor 24 Jahren Mitglieder der Forschergruppe bereits beteiligt waren. Die Defekte führen zu Störungen bei der Herstellung bestimmter Eiweißmoleküle, die mit Zuckerresten verknüpft werden. Die so genannten Glycoproteine greifen in Wachstum und Organentwicklung ein, sind lebenswichtig für ein intaktes Immunsystem oder die körperinterne Kommunikation. "Sie sind so wichtig, dass wir sehr erstaunt waren, dass es überhaupt Patienten gibt. Denn ein Drittel aller Proteine können betroffen sein", sagte Prof. Kurt von Figura, der sich über den Preis sehr freute und gern die Glückwünsche des Hamburger Senats, die Staatsrat Dietrich Wersich überbrachte, entgegennahm.
Das Krankheitssyndrom wird mit dem Zungenbrecher Congenital Disorder of Glycosylation (CDG) bezeichnet. Die Patienten sind häufig geistig zurückgeblieben und ihre Beweglichkeit ist eingeschränkt. Rund ein Fünftel der Erkrankten stirbt in den ersten zwei Lebensjahren. CDG ist etwa so selten wie der Veitstanz, die Bluterkrankheit oder die Glasknochenkrankheit. "Heute sind elf unterschiedliche Gendefekte dieser Krankheit bekannt", sagte von Figura. "Bei zwei Gendefekten kann der Krankheitsverlauf durch die Gabe von zwei einfachen Zuckern, Mannose bzw. Fructose, deutlich verbessert werden."
Insgesamt seien weit über 500 Erbkrankheiten beschrieben, die wie die CDG von einem Gen ausgelöst werden, sagte Prof. Ulrike Beisiegel, Prodekanin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) und ergänzte: Doch nur selten sei eine Therapie so einfach. Nicht zuletzt deshalb, da oft mehr als ein Gen eine Krankheit verursacht. Zudem haben oft Umwelteffekte einen Einfluss. "Essen und Bewegung spielen eine entscheidende Rolle", so die Forscherin und nannte als Beispiel die Zuckerkrankheit.
Seit das menschliche Erbgut entziffert ist, entdecken die Genomforscher ständig neue genetische Ursachen von Krankheiten. "Wir kennen etwa 1800 Stellen im menschlichen Erbgut, die mit Erkrankungen in Verbindung gebracht werden", sagte die Forscherin. Doch für die meisten genetisch bedingten Krankheiten gibt es gegenwärtig keine Therapie. Das konstatierte auch Prof. Regine Kollek, stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Ethikrates Deutschlands. "Die Schere zwischen Diagnostik und Therapie öffnet sich immer weiter", so die Hamburger Wissenschaftlerin. Dieses führe zu sehr grundsätzlichen Fragen. Professorin Kollek nannte als Beispiel: Was tun wir mit dem diagnostischen Wissen? Was bedeutet es, wenn wir eine Krankheit lange vor ihrem Ausbruch diagnostizieren können? Wie müssen die sensiblen Daten geschützt werden? Zugleich stellte Regine Kollek einen Sinneswandel fest: "Lange standen Gene als Krankheitsverursacher im Vordergrund und viele Ursachen, die Krankheiten auch haben können, sind in den Hintergrund gerückt. Diese Sichtweise ändert sich. Auf dem Weltkongress der Genomforscher kürzlich in Berlin ist deutlich geworden, wie komplex die Zusammenhänge bei Krankheiten sind."
Wie problematisch die Voraussage von Krankheiten sein kann, schilderte Prof. Fritz Jänicke, Ärztlicher Direktor der UKE-Frauenklinik. Frauen können durch Gentests eine Disposition für einen Brustkrebs früh erkennen. Doch nur die Hälfte der Frauen, die aus Risikofamilien stammen, nutzt das. Wohl auch deshalb, weil die Entscheidungen, verbunden mit einem positiven Testergebnis, einschneidend sind. "In Amerika ist die Entfernung beider Brüste bereits weit verbreitet, denn sie bietet einen etwa 98-prozentigen Schutz vor Brustkrebs. Bei uns ist man vorsichtiger", sagte der Mediziner und fügte hinzu: Es stelle sich schon die Frage, was Gentests brächten, wenn es nur eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten gebe.
"Es kann schon eine große Erleichterung sein, wenn man endlich die Antwort auf die Frage bekommt: Was hat mein Kind?", betonte Prof. von Figura, der Kinderarzt ist. Natürlich hoffe man, dass es eine Therapie gibt. "Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir in den allermeisten Fällen, in denen wir einen genetischen Defekt feststellen, keine Therapie haben. Dennoch hilft es einer Familie, wenn sie die Ursache des Leidens ihres Kindes kennt - selbst wenn diese nicht behandelbar ist."
Um die Schere zwischen Diagnose und Therapie zu schließen, "müssen Grundlagenforschung und Medizin noch weiter verknüpft werden, wie dieses die Preisträger auf vorbildliche Weise tun", betonte Prof. Tanner, einer der Pioniere der Hefeforschung. Diese einzelligen Pilze, die Brot und Bier gedeihen lassen, sind zugleich ideale Modellorganismen, um grundlegende Stoffwechselprozesse zu untersuchen. "Seit der Entzifferung des menschlichen Genoms weiß man, dass der Mensch, der etwa 30 000 Gene hat, und die Hefe, die 6000 Gene hat, etwa 3000 Gene gemeinsam haben", sagte der Pflanzenphysiologe. So läuft auch die Verzuckerung der Eiweiße in Mensch und Pilz identisch ab.
Die Forschergruppe will das Preisgeld von 750 000 Euro nutzen, um therapeutisch wirksame Substanzen an Hefen mit Hilfe von Robotern zu erforschen. Der nächste Schritt wird sein, diese Substanzen an Mäusen zu testen.
"Wir sind gespannt auf ihre Bilanz in drei Jahren, wenn die Förderung abgeschlossen ist", sagte Christian Wriedt, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung, am Ende der Veranstaltung. Er wird den "Körber-Preis für die Europäischen Wissenschaften" am 7. September 2004 im Hamburger Rathaus überreichen.