Quedlinburg/Berlin. Am Waldrand und in Straßenbäumen fühlt er sich besonders wohl: Der Eichenprozessionsspinner hat sich fast überall in Deutschland ausgebreitet. Dabei profitiert der Wärmeliebhaber vom Klimawandel.
Er wird besprüht, weggesaugt und seit neuestem auch mal mit hochkonzentrierten Duftstoffen beschossen: Der Eichenprozessionsspinner ist in Parks und Wäldern kein gerngesehener Schmetterling. Einst eine eher seltene Art in Deutschland, hat sich der wärmeliebende Falter mittlerweile stark ausgebreitet.
Dabei wird der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) durch den Klimawandel begünstigt. „Sicherlich haben die sich rasch ändernden klimatischen Bedingungen auch Einfluss auf die Entwicklung des Eichenprozessionsspinners“, sagt Henrik Hartmann, Leiter des Waldschutzinstituts beim Julius Kühn-Institut (JKI) in Quedlinburg, der Deutschen Presse-Agentur. Ausschlaggebend für die Entwicklung seien die Witterungsbedingungen im Spätsommer beim Falterflug und der Eiablage sowie im Frühjahr während des Larvenschlupfs. Stiegen die Temperaturen im Frühjahr zeitig an, fielen Schlupf und Laubaustrieb für die hungrigen Insekten günstig zusammen.
Klimawandel begünstigt Ausbreitung
„Während der Eichenprozessionsspinner früher vor allem eher in aufgelichteten Wäldern oder Randlagen vorkam, ist er heute auch in der Fläche vertreten“, sagt Julian Bethke, Nabu-Referent für Landwirtschaft, Wald und Biodiversität. Das sei zunächst dem jeweiligen Jahresklima zuzuschreiben. „Seit 2018 gab es mehrere extrem trockene und heiße Jahre.“ Das JKI-Waldschutzinstitut arbeitet nach eigenen Angaben aktuell daran, zusammen mit den Bundesländern eine zentrale Erfassung von Befallsgebieten und -stärken einzurichten.
Den Eichenprozessionsspinner in Grünanlagen, auf Spielplätzen und an Alleen zu bekämpfen, ist Aufgabe der Kommunen. Problematisch ist der Falter vor allem wegen der Brennhaare, die die Raupen ab dem dritten Larvenstadium ausbilden. Sie brechen leicht ab und können bei Berührung zu Ausschlägen, Augenreizungen, Atembeschwerden und allergischen Reaktionen führen. Der Eichenblätter fressende Schmetterling kann aber auch Waldschäden verursachen, wenn er in Massen auftritt.
„Mit der Häufung von Fraßjahren kommt es zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der Lebenskraft der Eichen, die zum Absterben von Bäumen führen kann“, erklärt Sylke Mattersberger vom Landeszentrum Wald Sachsen-Anhalt. „Das kann ganze Waldbestände schwächen.“ Geschwächte Eichen seien wiederum weniger widerstandsfähig gegenüber Trockenheit, Mehltau oder weiteren Schädlingen wie dem Schwammspinner und dem Eichenprachtkäfer. In Sachsen-Anhalt breitet sich der Schmetterling nach Angaben des Landeszentrums seit rund 15 Jahren aus.
In nordrhein-westfälischen Wäldern seien die Schädlinge bisher - im Gegensatz etwa zu Parks - kein großes Problem, sagt Ole Theisinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesbetrieb Wald und Holz NRW. „Aber wenn wir den Blick nach Baden-Württemberg, Bayern oder Brandenburg richten, sehen wir, dass der Eichenprozessionsspinner auch im Wald große Schäden anrichten kann.“
Natürliche Gegenspieler sorgen für zyklischen Rückgang
Bereits seit den 1990er Jahren tritt der Schädling in Bayern in Erscheinung, wie die Biologin Gabriela Lobinger von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft berichtet. Seitdem werde zunehmend auch ein Befall in Waldgebieten beobachtet, zuerst in Unterfranken und im Donauries, mittlerweile auch in anderen Regionen. „Die Art ist durchaus anpassungsfähig“, sagt Lobinger. Die Beobachtung zeige, dass die Populationen zyklisch schwankten. Eine Massenvermehrung halte in einer Region meist etwa drei bis vier Jahre an, dann gehe der Befall zurück. „Nach etwa zehn Jahren kommt es wieder zu Massenvermehrungen“, erklärt Lobinger.
Verantwortlich für den zyklischen Rückgang des Befalls sind natürliche Regulationsmechanismen. Insekten wie Schlupfwespen legen ihre Eier in die Larven des Falters und schwächen so die Population. „Diese Gegenspieler müssen gestärkt werden, etwa durch ausreichende Blühflächen“, sagt der Biologe Theisinger. Abgemähte Grünflächen und mangelnde Vielfalt am Waldrand beförderten dagegen die Massenvermehrung des Eichenprozessionsspinners. Das bestätigt die Biologin Lobinger für Bayern: Fehlten die Gegenspieler, etwa bei einzelnen Bäumen am Straßenrand ohne Grünflächen, könne es keine Regulation geben.
Bisher werden die Schädlinge meist durch Absaugen bekämpft, es kommen aber auch aufgesprühte Biozide, Fadenwürmer oder Nistkästen für Meisen - natürliche Fressfeinde der Falter - zum Einsatz. Neue Methoden zu erproben, da sind sich Fachleute einig, sei wichtig im Einsatz gegen den Schädling. „Es wird wahnsinnig viel ausprobiert“, sagt Lobinger. Manch unkonventioneller Ansatz, wie das Besprühen der Bäume mit heißem Wasser oder Schaum, habe sich bisher allerdings nicht als zielführend erwiesen. Viele Verfahren seien zudem aufwendig und teuer, sagt Waldschutz-Institutsleiter Hartmann.
Komplette Ausrottung nicht mehr möglich
In NRW wird aktuell die Verwirrung der männlichen Tiere durch Sexuallockstoffe getestet, die in Form kleiner Kügelchen in die Bäume geschossen werden. Das soll die Paarung verhindern. Die Methode sei in Deutschland neu, aber in den Niederlanden bereits erprobt, sagt Theisinger. Dort sei ein Rückgang der Nester um bis zu 50 Prozent festgestellt worden. Anhand der Ergebnisse aus NRW, die im Sommer 2024 feststehen sollen, soll ein bundesweites Projekt entstehen, um weitere mögliche Anwendungsbereiche für die Methode zu erforschen.
Von Biozid-Behandlungen vom Hubschrauber aus, wie sie mitunter etwa in Bayern und Sachsen-Anhalt durchgeführt werden, rät der Nabu ab. „Das hat fatale Folgen für das Ökosystem Wald, das durch Hitze und Trockenheit ohnehin schon unter hohem Stress steht“, sagt Bethke.
Ganz werde man den Schädling ohnehin nicht mehr los, sagt Lobinger. Eichen ohne den Eichenprozessionsspinner werde es in Zukunft nicht mehr geben. Deshalb sei es wichtig, im Umgang mit dem Schmetterling gelassen zu bleiben. Wer in betroffenen Gebieten unterwegs sei, solle Abstand zu den Bäumen halten und auch Kinder im Blick behalten.
Langfristig auf Eichen zu verzichten, sei keine Lösung. „Die Eiche ist eine extrem wichtige Baumart“, betont die Biologin. Der Laubbaum gilt als robust gegen Hitze und Trockenheit. Er wird daher häufig gepflanzt, um Monokulturen von Fichten oder Kiefern zu Mischwäldern umzubauen.