Hamburg. Die Leistung der Windparks vor den deutschen Küsten soll sich in den nächsten 20 Jahren vervielfachen. Was bedeutet das für Zugvögel, die Nord- und Ostsee überqueren? Biologen suchen nach Antworten.
Der geplante starke Ausbau der Windenergie auf Nord- und Ostsee stellt nach Ansicht von Biologen eine zunehmende Gefahr für Zugvögel dar. Wissenschaftler vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel untersuchten die Reaktionen von Großen Brachvögeln und Meeresgänsen auf Windräder während ihres Vogelzuges aus dem Wattenmeer nach Nordwest-Russland.
Für die internationale Studie fingen die Forscher 143 Brachvögel, 30 Ringelgänse und 87 Nonnengänse ein und versahen sie mit kleinen Sendern. Sechs Jahre lang lieferten die GPS-Geräte Bewegungsdaten, wie Studienleiter Philipp Schwemmer am Dienstag auf dem Meeresumwelt-Symposium des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg berichtete.
Die Aufzeichnungen ergaben, dass etwa 70 Prozent der Brachvögel vor den Turbinen aufstiegen oder ihren Kurs änderten und so den Anlagen auswichen. „Dies ist zunächst eine gute Nachricht, weil somit ein Großteil der Tiere offenbar Kollisionen vermeidet“, erklärte Schwemmer. Er fügte aber hinzu: „Circa 30 Prozent der Brachvögel durchqueren Windparks ohne Reaktion.“ Das berge ein Risiko für die Tiere. Der Große Brachvogel zählt zu den im Bestand bedrohten Arten.
Windanlagen bei Vogelzug abschalten?
Bei den Meeresgänsen zeigten die Daten einen klar definierten Zugkorridor zwischen der deutschen Ostsee, Südschweden und dem Finnischen Meerbusen, den die Tiere an nur wenigen Tagen im Jahr auf ihrem Weg nach Nordsibirien nutzen. Ob Meeresgänse ebenfalls den Windparks ausweichen, sei noch unklar. Allerdings fliegen rund 90 Prozent der Tiere in Höhe der Windräder. Schwemmer plädierte dafür, diesen Korridor bei der Planung von Offshore-Anlagen zu berücksichtigen oder die Anlagen an den wenigen Tagen mit Vogelzug abzuschalten. Die Studie soll demnächst in der Fachzeitschrift „Journal of Environmental Management“ erscheinen.
Mit der GPS-Trackingmethode kann der Flug kleinerer Vögel über die Meere nicht so leicht verfolgt werden, weil die Sender für sie meist zu schwer sind. Auch Beobachtungen seien schwierig, weil zwei Drittel aller ziehenden Vogelarten nachts die Meere überfliegen, erklärte der Biologe Ommo Hüppop vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven auf dem Symposium. Um dennoch den Weg von Amseln, Drosseln, Rohrsängern und anderen kleinen Vögeln über das Meer zu erkunden, werten Hüppop und Kollegen die Daten von Wetterradargeräten der Ostseeanrainerstaaten aus.
Niederländische Forscher hätten eine Methode entwickelt, Vögel und Insekten auf den Karten sichtbar zu machen. Schwärme und einzelne Vögel erschienen auf den Radarbildern wie „große fliegende Wassertropfen“, sagte Hüppop. Die Wissenschaftler könnten zwar nicht die Art der Vögel erkennen, aber feststellen, wie viele Tiere sich wie schnell in welche Richtung bewegen.
„Man kann von einer Gefährdung ausgehen“
Eine besonders viel genutzte Route gehe von Finnland über die Åland-Inseln und Schweden zur westlichen Ostsee. Dabei flögen sie in breiter Front über das Meer. Wie viele Tiere dabei mit Windrädern kollidieren, konnte Hüppop nicht sagen. Klar sei aber, dass die Vögel bei schlechtem Wetter niedriger flögen und von Licht angezogen werden. „Da kann man von einer Gefährdung ausgehen“, sagte der Biologe, der mehr als 20 Jahre lang die Vogelwarte auf Helgoland leitete.
Hüppop und sein Team wollen ihre Daten modellieren und sogenannte Sensitivitätskarten erstellen. Dann könnte man die Meeresgebiete mit besonders starkem nächtlichen Vogelzug identifizieren und Maßnahmen zur Vermeidung von Kollisionen mit Offshore-Anlagen treffen.
Erst kürzlich hatten Wissenschaftler vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität Kiel eine Studie zu Seetauchern veröffentlicht. Demnach haben Windräder auf dem Meer einen negativen Einfluss auf die Bestände der fischfressenden Wasservögel. Die Tiere meiden Offshore-Windparks sowie direkt angrenzende Bereiche fast vollständig, stellten der Biologe Stefan Garthe und sein Team fest. Die Studie wurde in der Zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Von 8 auf 70 Gigawatt in 22 Jahren
Vor den deutschen Küsten stehen derzeit 22 Windparks in der Nord- und drei in der Ostsee, mit einer Leistung von zusammen 8,1 Gigawatt. Bis 2030 sollen es 30 Gigawatt sein, bis 2045 soll die Gesamtleistung laut dem zum Jahresanfang in Kraft getretenen Windenergie-auf-See-Gesetz auf mindestens 70 Gigawatt gesteigert werden.
Außenministerin Annalena Baerbock betonte am Dienstag die Bedeutung von Windkraft auf der Ostsee für die Energiewende. „Dieses Meer ist, wie viele von Ihnen wissen, ein Schatz. Ein Schatz, den wir alle teilen, aber auch ein Schatz, den wir besser nutzen können. Ein Schatz für grüne Energie“, sagte die Grünen-Politikerin auf einem Windforum mit europäischen Partnern in Berlin.