Hamburg. Die „Meteor“, die heute Hamburg verlässt, kommt in die Jahre. Doch insgesamt ist Deutschland gut aufgestellt
Nach fast sechs Wochen zur Überholung in der Norderwerft verlässt das Forschungsschiff „Meteor“ am heutigen Freitag die Hansestadt in Richtung Ostsee. Das 98 Meter lange Schiff ist Teil der Deutschen Forschungsflotte, die versucht, den größten aller Lebensräume – 70 Prozent der Erdoberfläche sind Ozeane – zu erkunden. „Gerade wird sehr intensiv über die Flotte diskutiert“, sagt Prof. Ulrich Bathmann, Vorsitzender des Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM) und Direktor des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde. Denn: „Die Meteor kommt, wie einige andere Schiffe, in die Jahre – und damit an ihre Grenzen“, so Bathmann. Deutschland müsse aufpassen, seine Spitzenposition in der Meeresforschung zu halten.
Bisher, so der Meeresbiologe, sei die Bundesrepublik mit ihrer Weltflotte von Forschungsschiffen sehr gut aufgestellt. „Das liegt auch an der guten Zusammenarbeit zwischen den Reedereien und der Wissenschaft, also den Forschern“, sagt Bathmann. In einigen anderen Nationen würden die Forschungsschiffe von der Marine gefahren, was „nicht immer so einfach“ sei.
Deutschland sei auch deshalb zum Beispiel mit den USA „auf Augenhöhe oder sogar vorangehend“, wie Bathmann sagt, weil sich die acht großen Forschungsschiffe weltweit im Einsatz befänden und für spezielle Aufgaben ausgerüstet seien. So wurde etwa die „Polarstern“ speziell für die Polarforschung konzipiert. Die erst im November 2014 in Dienst gestellte „Sonne“ fahre im Einsatz für die Tiefseeforschung in den Tropen. Und die „Meteor“, ob im Atlantik, Ost-Pazifik, West-Indik, Mittelmeer oder Ostsee unterwegs, sei als interdisziplinäre Plattform das „Rückrat der deutschen Ozeanforschung“. Eigner der Schiffe ist entweder das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder ein Bundesland, wie etwa Schleswig-Holstein bei „Poseidon“ und „Alkor“ oder Mecklenburg-Vorpommern bei „Maria S. Merian“ und „Elizabeth Mann Borgese“.
Während mit der Reederei Laeisz gerade ein Betreiber für eine neue „Polarstern“ gefunden worden sei und der Neubau Ende des Jahres unter den Werften ausgeschrieben werde, sei die Zukunft der „Meteor“ noch ungewiss, sagt Bathmann. Die erste „Meteor“ machte Deutschland einst weit über seine Grenzen hinaus bekannt: durch die vollständige Vermessung des Atlantiks während der Deutschen Atlantischen Expedition in den Jahren 1925– 1927. Bathmann: „Die jetzige ,Meteor‘ ist mit einem Alter von knapp 30 Jahren jedoch in vielen Dingen an ihre Grenzen gekommen und nicht mehr mit der neuesten Technik ausgestattet.“ Es gäbe einen Vorschlag für einen Neubau; noch sei aber nichts konkret geplant.
Ein Austausch der Schiffe etwa alle 30 Jahre entspreche der Norm, sagt Eva Gümbel, Staatsrätin in der Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG). „Ein Forschungsschiff-Neubau kostet zwischen 70 und mehreren Hundert Millionen Euro“, so Gümbel. Zum Vergleich: Die Tageskosten im laufenden Betrieb der „Sonne“ etwa beliefen sich auf rund 32.000 Euro.
Die Hansestadt verfügt nicht über ein eigenes Forschungsschiff – „darauf kommt es aber auch gar nicht an“, sagt Gümbel. „Wir betreiben eine Verbundforschung, bei der nicht der eine mehr und der andere weniger Einfluss hat.“ Allerdings lägen in Hamburg die Aufsicht und die Koordination über die drei Forschungsschiffe „Meteor“, „Sonne“ und „Maria S. Merian“. Praktisch heißt das, dass in Hamburg die Forschungszeiten der einzelnen Projekte koordiniert werden.
Für die „Meteor“ steht nach dem Auslaufen aus der Elbe die Forschungsfahrt M117 an: Sie führe das Schiff quer durch die Ostsee bis in den Golf von St. Petersburg. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf verschiedene Messungen im Oberflächenwasser. „Hierbei geht es auch um den Gasaustausch von Algenblüten und der Atmosphäre“, sagt Bathmann. Blaualgenblüten sind abhängig von der Phosphatkonzentration im Oberflächenfilm des Meeres – „die Phosphatquelle im Sommer ist uns allerdings noch weitgehend unbekannt“, so der Meeresforscher. Der meiste Eintrag geschehe durch einen Abfluss von Land; wie viel jedoch aus der Atmosphäre hinzukäme, wie viel verstecktes Phosphat im System vorliege und ob es noch andere Quellen gebe, seien die großen Unbekannten.
Generell wüsste man immer noch verhältnismäßig wenig über unsere Meere, auch über die Ostsee. Dort hat beispielsweise ein Zirkulationsexperiment gezeigt, dass die Verteilung der Wassermassen und damit auch der Nährstoffe gar nicht so sehr von oben nach unten geschieht, sondern vielmehr an den Beckenrändern abläuft. „Wir vermuten, dass ähnliche Verhältnisse auch im Atlantik greifen“, sagt Bathmann.
Um solche Prozesse besser zu verstehen, arbeiten nicht nur Biologen an Bord der Schiffe, sondern zum Beispiel auch Chemiker, Physiker und Geologen. Durch so eine Zusammenarbeit gelänge es, ein Gesamtbild zusammensetzen. „Hier haben wir eine Wandlung in der Meeresforschung“, sagt Ulrich Bathmann. „Institute haben sich in den vergangenen Jahren stärker zusammengefunden und sich zu Schwerpunkthemen zusammengeschlossen – fächerübergreifend. Wir befinden uns in einer Bewegung, bei der wir versuchen, aus der rein naturwissenschaftlichen Ecke herauszukommen. Für eine umfassende Betrachtung des Lebensraums Meer brauchen wir auch Sozialwissenschaftler, Theologen, Juristen und Ethiker, um Fragen etwa nach der Wahrnehmung der Schätze, die wir in den Ozeanen haben, oder nach der weltweiten Verschmutzung der Meere zu klären.“
Strategiepapier für die Küstenforschung soll im August veröffentlicht werden
Als großes Zukunftsthema sieht der Wissenschaftler an erster Stelle den Klimawandel. „Wir konnten das Klima der vergangenen 800.000 Jahre aus Eisbohrkernen rekonstruieren. Noch nie waren die CO2-Sprünge so groß wie jetzt. Was wir nun dringend benötigen, sind Computermodelle für einzelne Meeresregionen wie die deutsche Bucht oder die deutsche Ostseeküste, die errechnen, wie die Zukunft aussehen könnte.“ Dazu wäre wichtig zu wissen, wie die Strömungen am Meeresboden verlaufen.
Ein zweiter wichtiger Forschungsschwerpunkt kümmere sich um die Meeresressourcen, ob nun um Nahrung (Fische, Muscheln, Algen) oder den Abbau etwa von chemischen Substanzen, Sand oder Metallen in unseren Ozeanen. Und schließlich sei die wissenschaftliche Gemeinde mit dem Erhalt eines guten ökologischen Zustands der Meere befasst – „eine echte Herausforderung“, wie Bathmann sagt. Viele sehr unterschiedliche Interessengruppen hätten verschiedenste Ansprüche an die Ozeane: Fischer und Touristen nutzten sie beispielsweise, dazu kämen der weltweite Seetransport und die Klärwerk-Funktion des Meeres.
Die Wissenschaft sei in der Pflicht, der Politik für nötige Handlungen diesbezüglich Hintergründe zu liefern. „Die im Konsortium Deutsche Meeresforschung zusammengeschlossenen Institutionen kommen jetzt in die Phase, in der wir sprachfähig werden gegenüber der Bundes- und auch der EU-Politik“, sagt Bathmann. Im April 2015 hatte im Altonaer Museum das Symposium „Küste 2025“ stattgefunden; in Strategiegruppen wurde seitdem ein Punktekatalog für die Küstenforschung erarbeitet, der nächsten Monat in Form einer „Altona Erklärung“ veröffentlich werden soll.
Die deutsche Meeresforschung nimmt Fahrt auf. Ulrich Bathmann begrüßt deshalb auch das Engagement von kleineren Initiativen, das dazu dient, die Meeresforschung und den Meeresschutz in der Bevölkerung zu verankern. „Wichtig dabei ist, dass wir an einem Strang ziehen – und das in die gleiche Richtung.“ Und dass einzelne Akteure es nicht so darstellten, als geschehe in der deutschen Meeresforschung nicht genug. „Solche Schnellschüsse gefährden unsere Arbeit.“