Microsofts kommendes Betriebssystem soll scheinbar Unvereinbares vereinen. Ein erster Test
Hamburg. Der Riese bewegt sich, zumindest ein bisschen. Der US-Konzern, dem gern eine gewisse Schwerfälligkeit nachgesagt wird, hat sich die Kritik an Windows 8 offenbar zu Herzen genommen. Das wird bereits deutlich, wenn man das neue Windows 10 zum ersten Mal hochfährt. Das Betriebssystem startet direkt in die Desktop-Ansicht, also jene Benutzeroberfläche, an die Nutzer älterer Windows-Versionen wie XP oder Windows 7 gewöhnt sind. Die unbeliebte Startseite mit den bunten Kacheln bleibt im Hintergrund. Sie erscheint nur bei Bedarf.
Mit der Versionsnummer 10 im Namen überspringt Microsoft eine Zahl. Laut offizieller Lesart soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Nutzer eine völlig neue Windows-Generation erwartet. Es gibt allerdings auch andere Theorien. So trägt Apples PC-Betriebssystem Mac OS bereits die Nummer 10, was die Marketingstrategen in Redmond zu der Namensgebung veranlasst haben könnte. Programmierexperten mutmaßen dagegen, dass Fehler vermieden werden sollen, die entstehen könnten, wenn in einer Befehlszeile die Ziffer 9 erscheint, da diese bereits in Windows 95 und 98 vorkommt.
Doch zurück zum Inhalt. Ob Maus und Keyboard angeschlossen sind, merkt Windows künftig selbst und passt sich entsprechend an. Hybridgeräte zwischen Notebook und Tablet können nahtlos in den passenden Modus schalten, je nachdem, ob die Tastatur gerade aus- oder eingeklappt ist. In einer Sache bleibt Microsoft also eisern: ein Windows für alle, als zentrale Schaltstelle zwischen PC, Tablet, Smartphone und Spielkonsole Xbox One. Ob das überhaupt gelingen kann, wird von vielen Experten weiterhin bezweifelt. Microsoft wolle offenbar auch weiterhin „zusammenzwingen, was nicht zusammengehört“, grummelt etwa das IT-Fachblatt „c’t“.
Viele Neuerungen von Windows 10 erschließen sich erst auf den zweiten Blick. Ein Klick auf das Windows-Symbol unten links bringt die augenfälligste von ihnen zum Vorschein: Das Startmenü, von vielen Nutzern schmerzlich vermisst, ist wieder an Bord. Ist das neue Windows also ein Schritt zurück in die Zukunft? Nein, denn es handelt sich keineswegs um eine bloße Wiederbelebung des alten Windows-7-Startmenüs. Neben den klassischen Einträgen gibt es dort nun auch eine Art Miniaturversion des Kachelbildschirms aus Windows 8 mitsamt Apps und Direktzugang zum Microsoft Store.
Davon abgesehen lassen sich Erscheinungsbild und Inhalt des Start-Menüs so flexibel anpassen wie nie zuvor. Ob man darüber auf seine Videos zugreifen, seine Kontakte verwalten oder aktuelle Nachrichten lesen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Ein weiterer Beleg für die Einsicht des Herstellers, dass es den Nutzern nicht reicht, lediglich die Hintergrundmotive für ihren Desktop austauschen zu dürfen.
Apps und Microsoft Store bleiben wichtige Bestandteile der Windows-Welt. Das lukrative Geschäft mit Medieninhalten und Mini-Erweiterungen, mit dem Konkurrent Apple einst den Markt revolutionierte, will sich der Konzern nicht entgehen lassen. Waren Apps unter Windows 8 vorrangig auf die Bedienung mittels der Fingerspitzen auf einem Touchscreen ausgelegt, verhalten sie sich nun wie klassische Windows-Fenster. Sie können frei verschoben, neben- oder übereinander platziert und über ein Ausklappmenü oben links im Fenster bedient werden.
Die Charms-Leiste, die bei Bedarf am rechten Bildschirmrand erscheint und viele Nutzer von Windows 8 nervte, wird abgeschafft und durch ein „Action Center“ für Benachrichtigungen und Schnelleinstellungen ersetzt. Laut Windows-Vizechef Terry Myerson sorgte die Vielfalt an unterschiedlichen Geräten für Verwirrung. Ein Windows für alle Gerätetypen ermögliche dagegen einen natürlichen Wechsel zwischen den Geräten. Die neuen „Universal Apps“, die unabhängig von der benutzen Plattform, mit oder ohne Touchscreen funktionieren, sollen die gleiche Benutzererfahrung über alle Gerätegrenzen hinweg ermöglichen. Ob auf dem PC oder dem Windows Phone – der Softwarekern und die Funktionalität bleiben die gleichen, nur das Layout wird dem jeweiligen Gerät angepasst.
Eine ganze Reihe von Neuerungen fasst Microsoft unter dem Begriff „Multitasking“ zusammen. Rechts der Suchfunktion in der unteren Taskleiste findet sich die neue Schaltfläche „Task View“. Darüber lassen sich alle geöffneten Anwendungen gleichzeitig anzeigen. Mit einem Klick beziehungsweise einem Antippen des Touchscreens wechselt man von einer zur anderen.
Erstmals unter Windows lassen sich mehrere Desktops gleichzeitig betreiben. So kann man sich eine Arbeitsumgebung für den Beruf und eine für private Anwendungen einrichten. Die von Microsoft propagierte Philosophie des „neuen Arbeitens“, des fließenden Übergangs zwischen Arbeits- und Privatwelt, findet hier ihren Niederschlag.
Um wieder zum Trendsetter zu werden, bedarf es ständiger Innovation. Microsoft verspricht deshalb, mit Windows-Updates nicht mehr nur Programmierfehler zu beheben und Sicherheitslöcher zu stopfen, sondern auch neue Funktionen einzuführen. Einige davon werden schon zum Start an Bord sein. So wird Microsoft seine Sprachassistentin Cortana in Windows integrieren. Es wäre die erste Sprachassistentin eines der drei großen Hersteller, die auch auf Desktop-PCs funktioniert. Apples Siri tut nur auf iOS-Geräten ihren Dienst, Google Now ausschließlich auf Android-Smartphones und Tablets.
Eine kleine Sensation ist die Tatsache, dass der Konzern einen neuen Browser namens Spartan integrieren wird. Der einstige Marktführer Internet Explorer verlor in den vergangenen Jahren mehr und mehr an Boden. Gegen den flexiblen, mit allerlei Zusatzfunktionen erweiterbaren Firefox und das mit diversen Google-Diensten verknüpfte Chrome machte der Microsoft-Browser keinen Stich mehr. Spartan soll eine weitere Brücke schlagen zwischen stationären PCs und mobilen Geräten.